Consumer Healthcare Information Technology - Ali Sunyaev

4 downloads 2071 Views 144KB Size Report
May 21, 2013 - Consumer Health-Care Information Technology zierte und systematische ... pflichtige Medikamente, Sportkurse mit präven- tiver Wirkung, nicht ...
400 Zur Diskussion

Consumer Healthcare Information Technology

Autor

A. Sunyaev

Institut

Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Universität zu Köln

Schlüsselwörter ▶ Consumer Healthcare ● Information Technology ▶ medizinische Informatik ● ▶ elektronische ● Patientenakten ▶ medizinische Empfehlungs● systeme

Zusammenfassung

Abstract

Consumer Healthcare Information Technology hat den Anspruch, den Patienten neuartige Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung zu eröffnen. Dies wird angestrebt durch eine bessere Einbeziehung bestehender Datenbanken und besserer Informationsvermittlung an Patienten und falls gewünscht auch an die Leistungserbringer. Zudem werden bestehende und neue Systeme vernetzt und pervasiv ausgelegt. Die Inanspruchnahme von Consumer Healthcare Information Technology Diensten ist freiwillig und überlässt den Patienten stets die Kontrolle über ihre medizinischen Daten. Diese Arbeit zeigt den aktuellen Stand der Forschung in dem Bereich des patientenzentrierten Gesundheitswesens auf und weist auf Gebiete hin, die weiterer Untersuchungen bedürfen.

Consumer health-care information technology is intended to improve patients' opportunities to gather information about their own health. Ideally, this will be achieved through an improved involvement of existing data bases and an improved communication of information to patients and to care providers, if desired by patients. Additionally, further interconnection of existing and new systems and pervasive system design may be used. All consumer health-care information technology services are optional and leave patients in control of their medical data at all times. This article reflects the current status of consumer health-care information technology research and suggests further research areas that should be addressed.

Consumer Healthcare – das Paradigma des patientenzentrierten Gesundheitswesens

zierte und systematische Datengewinnung und -auswertung, ihren eigenen Gesundheitszustand überwachen und kontrollieren. Dank der gewonnenen Datenbasis mündet die Kanalisierung der CHIT-Dienste in effizienteren Behandlungen und eine Verbesserung in der Qualität der Gesundheitserbringung wird erwartet [1]. Zum einen sollen Gesundheitsinformationen und Informationssysteme den Akteuren übersichtliche Entscheidungsgrundlagen im Gesundheitswesen geben. Zum anderen sollen sie unterstützend bei der Beurteilung des eigenen Gesundheitszustands wirken. Dadurch können weniger Behandlungen, Untersuchungen und Arzneimittelverschreibungen nötig sein. Als weitere mögliche Vorteile durch CHIT werden unter anderem ein höherer Informationsgrad von Patienten, höhere Datenqualität durch Fehlerkorrektur seitens der Patienten und Entlastung von Krankenversicherungen gesehen. CHIT hat nicht nur Vorteile. Als Risiken erscheinen Datensicherheitsprobleme und der potentielle Verlust der Privatsphäre.

Key words ▶ consumer health-care ● information technology ▶ health/medical informatics ● ▶ personal health records ● ▶ medical recommendation ● systems

Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1343445 Online-Publikation: 21.5.2013 Gesundheitswesen 2013; 75: 400–402 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0941-3790 Korrespondenzadresse Ali Sunyaev Juniorprofessur für Wirtschaftsinformatik Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät Universität zu Köln Albertus-Magnus-Platz 50923 Köln [email protected] www.isq.uni-koeln.de





Consumer Healthcare bezieht sich auf privat finanzierte Produkte und Dienstleistungen, die Verbraucher aus eigenem Antrieb [5] nutzen, um ihren Gesundheitszustand zu erhalten oder zu verbessern. In diesen Bereich fallen z. B. Nahrungsergänzungsmittel, nicht verschreibungspflichtige Medikamente, Sportkurse mit präventiver Wirkung, nicht medizinisch induzierte operative Eingriffe, Geräte zur Überwachung des eigenen Gesundheitszustandes und eigene medizinische Fortbildungen über Fachbücher oder das Internet. Consumer Healthcare Information Technology (CHIT), als digitales Dienstleistungsfeld, bedeutet, dass Patienten neuartige Möglichkeiten bekommen, orts- und zeitunabhängig Unterstützung durch Informationstechnologie (IT) zu erfahren. Auf diese Weise können sie, durch qualifi-

Sunyaev A. Consumer Healthcare Information Technology. Gesundheitswesen 2013; 75: 400–402



Heruntergeladen von: Deutsche Zentralbibliothek für Medizin.. Urheberrechtlich geschützt.

Consumer Health-Care Information Technology

Zur Diskussion 401

Grundlagen der Consumer Healthcare Information Technology Forschung



Forschung in CHIT beschäftigt sich mit der Analyse von Informationsbedürfnissen/-nutzung von Patienten sowie der Modellierung und Integration von Patientenwünschen in medizinische Informationssysteme [4]. Zudem werden Methoden und Anwendungen entwickelt und evaluiert, die Patienten bei der Informationsnutzung unterstützen und Bedürfnisse und Wünsche von Patienten, im ärztlichen Umfeld, in Informationssysteme integrieren. Die folgenden 3 Grundforschungsstränge stellen häufige und konkrete Anwendungsbereiche von CHIT dar: 1) Empfehlungsund Informationssysteme, 2) Geräte und 3) elektronische Patientenakten.

Empfehlungs- und Informationssysteme



Informationssysteme bzw. empfehlungsgebende Systeme können Informationen aus verschiedenen Datenquellen beziehen, um Rückmeldungen und Empfehlungen geben zu können. Als einfache Form von Informations- und Empfehlungssystemen, kann die Verlagerung bereits bestehender Dienste in den CHIT Bereich angesehen werden. Dies ermöglicht eine effizientere Erinnerung von Patienten an anstehende Arzttermine und eine Verlagerung rein beratender Arztgespräche auf internetbasierte Systeme [10]. Besonders bei chronischen und seltenen Krankheiten kann die Qualität einer Behandlung durch die richtige Nutzung der medizinischen Empfehlungs- und Informationssysteme gesteigert werden [14]. Um diese erfolgreich einsetzen zu können bedarf es Verfahren, die bereits vorhandene Datengrundlagen anderer Patienten nutzen. So könnte zu einer Patientensituation eine sinn-

volle Behandlung vorgeschlagen und diese anschließend mit einem Arzt abgestimmt werden.

Geräte



Zur Erreichung der Ubiquität eines CHIT Systems, kann es nötig sein, speziell dafür ausgelegte Geräte zu verwenden bzw. erhobene Gesundheitsdaten in bestehende Systeme (z. B. Smartphones) einzupflegen. Auf diese Weise lässt sich eine Vernetzung verschiedener Systemteile oder Systeme erreichen. Insbesondere die Datenmessung kann damit vereinfacht und benutzerfreundlicher gestaltet werden. Zugrunde liegt hierbei die Vorstellung, dass eine dauerhafte und nutzbringende Erhebung durch Patienten nur dann möglich ist, wenn sie mit wenig Aufwand verbunden und möglichst weit automatisiert ist.

Elektronische Patientenakten



Elektronische Patientenakten (ePA; Personal Health Records, PHR) stellen eine vom Patienten initiierte Sammlung von Gesundheitsdaten aus potentiell mehreren Quellen dar [6]. ePA sind im Gegensatz zu elektronischen Gesundheitsakten (eGA; Electronic Medical Records, EMR [12]) nicht leistungserbringer-, sondern patientenorientiert. Sie müssen dementsprechend so aufbereitet sein, dass ein Patient die angebotenen Informationen verstehen kann. Es sollten auch keine Informationen, die für Patienten nicht relevant sind, in ePA gespeichert sein. Eine ePA wird vom Patienten selbst angelegt, kann webbasiert sein oder als autarkes Programm ablaufen und befindet sich in staatlicher oder privater Trägerschaft. Zur Sammlung und Präsentation von Daten einer ePA können spezielle oder pervasiv auftretende Geräte genutzt werden. Durch Anbindung von Empfehlungs- und Informationssystemen an ePA-Lösungen, ist eine Funktionalität erreichbar, welche die gesamte Bandbreite von CHIT widerspiegelt [11]. ePA haben das Potenzial zum zentralen Element des CHIT Bereichs zu werden. Die Notwendigkeit, anderen Personen stellvertretend Vollzugriff zu gewähren, da die Pflegebedürftigen selbst solche Systeme meist nicht eigenständig nutzen können [7], ist nach wie vor eine Herausforderung für die angewandte Datensicherheit- und Datenschutzforschung. Folgeschritt wird es sein, den sowohl in der Praxis, als auch der Wissenschaft angemerkten Punkt der zu niedrigen Gesundheitskompetenz der ePA-Nutzer, durch den Entwurf eines Semantic PHRs zu lösen, der automatisch nützliche Informationen und Links zu verlässlichen Daten in die ePA einfügen kann.

Weitere Fragestellungen



CHIT wirft ethische Fragestellungen auf, die beleuchtet werden müssen. Diese betreffen insbesondere Bedenken, dass Ethikkodizes von datensammelnden Firmen oder Institutionen nicht genügend beachtet werden. Das Spannungsfeld der verschiedenen Interessen von Patienten und Krankenversicherungen bzw. Patienten und Staat ist ein Forschungsgegenstand, der anstrebt die Akzeptanz und Nutzung von CHIT-Systemen durch Patienten zu erhöhen. Die Ergebnisse können hierbei vielfältig und umfassend sein und bspw. die Ubiquität der Systeme sowie deren intuitive und diskriminierungsfreie Benutzbarkeit und Verständlich-

Sunyaev A. Consumer Healthcare Information Technology. Gesundheitswesen 2013; 75: 400–402

Heruntergeladen von: Deutsche Zentralbibliothek für Medizin.. Urheberrechtlich geschützt.

Hohe Investitionskosten werden ebenso befürchtet, wie eine Entpersonalisierung des Arzt-Patienten-Verhältnisses. Das folgende Beispiel grenzt den Bereich CHIT von anderen ITbasierten Dienstleistungen im Gesundheitswesen ab. CHIT umfasst nicht die vorgesehenen Pflichtanwendungen der elektronischen Gesundheitskarte in Deutschland (und die zugehörige Telematikinfrastruktur) [3]. Diese verpflichtenden Dienste sind auf die Leistungserbringer ausgerichtet, ohne die aktive Mithilfe oder zusätzliche Informationen der Patienten zu benötigen (mit Ausnahme ihrer PIN). Die erweiterten Funktionalitäten der elektronischen Gesundheitskarte, wie z. B. der freiwillig nutzbare Notfalldatensatz, können dagegen CHIT zugeordnet werden. Ebenso besteht die Möglichkeit, die Infrastruktur und zum Teil die Daten der Telematikinfrastruktur über Mehrwertdienste für freiwillig nutzbare, externe Dienste in Anspruch zu nehmen. Obgleich selbst nicht Teil von CHIT, schafft die verpflichtende Einführung der elektronischen Gesundheitskarte eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten zur Nutzung von CHIT in Deutschland. Mit CHIT wird versucht eine bessere Einbeziehung der Patienten in ihre Gesundheitsversorgung zu erreichen (beispielsweise aufgrund aktiver Teilnahme am Behandlungsprozess, [8]). Durch bessere Informationen und eine bewusstere Lebensweise können sie damit zu mündigen Patienten werden, die in größerem Maße eigenständig die für sie richtige Gesundheitsversorgung selbst bestimmen.

402 Zur Diskussion

Ausblick



Fragestellungen rund um das CHIT repräsentieren die interdisziplinäre Seite der medizinischen Informatik. CHIT ist eine zukunftsweisende und endnutzerorientierte Forschungsdomäne, die sich von anderen Forschungssträngen in der medizinischen Informatik differenziert und gleichzeitig eine weitere Integration in vielfältigen Richtungen ermöglicht. Das hohe Potenzial der CHIT Forschung umfasst sichere, einfach bedienbare Dienste, die den Patienten durch vielfältige Informationssysteme zum mündigen Partner der Leistungserbringer machen und ihm weitreichende Empfehlungen geben können. Zudem können CHIT Systeme ubiquitär wirken und einen gegenseitigen Datenaustausch mit Leistungserbringern ermöglichen. Consumer Healthcare verspricht somit, das bisherige Gesundheitswesen umfassend zu verbessern.

Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1 Daglish D, Archer N. Electronic Personal Health Record systems: a brief review of privacy, security, and architectural issues. In 2009 World Congress on Privacy, Security, Trust and the Management of e-Business 2009; 110–120 2 Davie B, Florance V, Friede A et al. Bringing health-care applications to the internet. IEEE INTERNET COMPUT 2002; 5: 42–48 3 Deter G, Schanze J. Aktueller Begriff. Die elektronische Gesundheitskarte. In: Wissenschaftliche Dienste. Deutscher Bundestag. Nr. 86/09 2009 4 Eysenbach G. Recent advances: Consumer Health Informatics. BRIT MED J 2000; 320: 1713–1716 5 Grumbach C, Mieth K. The consumer healthcare market. a new booming market to conquer. Whitepaper, Finpro, Region North & Middle Europe, Global Life Sciencies 2008 6 Halamka JD, Mandl KD, Tang PC. Early experience with Personal Health Records. J AM MED INFORM ASSOC 2008; 15: 1–7 7 Kahn JS, Aulakh V, Bosworth A. What it takes: Characteristics of the ideal Personal Health Record. Wider adoption of PHRs will require greater computer competency, internet access, and health literacy. Health Affairs 2009; 28: 369–376 8 LeRouge CM, De Leo G. Information systems and healthcare XXXV: Health informatics forums for health information systems scholars. Communications of the ACM 2010; 27: 99–112 9 Piniewski B, Muskens J, Estevez L et al. Empowering healthcare patients with smart technology. IEEE Computer 2010; 43: 27–34 10 Smedberg Å. How to Combine the Online Community with Ask the Expert System in a Health Care Site. In: Proc First International Conference on the Digital Society 2007 11 Sunyaev A, Chornyi D. Supporting Chronic Disease Care Quality: Design and Implementation of a Health Service and its Integration with Electronic Health Records. In: ACM J Data Inf Qual (ACM JDIQ) 2012; 3: 1–21 12 Waegemann CP. Current status of EPR developments in the US. In: Toward an Electronic Health Record '99, Medical Records Institute 1999; 116–118 13 Walji MF, Zhang J. Human-centered design of persuasive appointment reminders. In: Proc. 41st Hawaii International Conference on System Sciences 2008 14 Weitzel M, Smith A, de Deugd S et al. A web 2.0 Model for patient-centered health informatics applications IEEE Computer 2010; 43: 43–50

Sunyaev A. Consumer Healthcare Information Technology. Gesundheitswesen 2013; 75: 400–402

Heruntergeladen von: Deutsche Zentralbibliothek für Medizin.. Urheberrechtlich geschützt.

keit umfassen. Nicht zuletzt sind der entsprechende wohlgesonnene politische Kontext und die ausreichende Einbeziehung der Leistungserbringer zu betrachten. Die Interoperabilität unterschiedlichster CHIT Systeme [9] und das Thema Cloud Computing (inkl. Compliance- und Geschäftsmodellfragestellungen) erfordern ebenfalls neuartige Lösungen und Strategien. Ebenso muss geklärt werden in welchem Ausmaß sich Ersparnisse durch CHIT im Gesundheitswesen bewegen. Eine weitere Fragestellung, der bisher zu wenig Beachtung gewidmet worden ist, beschäftigt sich mit der Qualitätssicherung der Daten [2]. Absichtlich oder mangels besseren Wissens falsch erzeugte Daten können bisher noch nicht mit genügender Genauigkeit erkannt werden. Wie es Patienten aller medizinischen Kenntnisstufen ermöglicht werden kann anhand ihrer individuellen Kenntnisse aktiv an ihrer Gesundheit teilzuhaben und ihren Wissensstand zu verbessern, ist eine weitere ungelöste Fragestellung. Dieses interdisziplinäre Thema, das sich mit dem Bereich der Psychologie überschneidet, sollte, im Sinne der Benutzbarkeit und Benutzerakzeptanz, weitere Aufmerksamkeit von zukünftigen Arbeiten erhalten.