Die Dreigroschenoper - Theater Marburg

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Die Dreigroschenoper. Theaterpädagogisches Begleitmaterial zur. Inszenierung von Matthias Faltz für Schulklassen ab Stufe 9. Spielzeit 2012/13 ...
Die Dreigroschenoper Theaterpädagogisches Begleitmaterial zur Inszenierung von Matthias Faltz für Schulklassen ab Stufe 9 Spielzeit 2012/13

ZUM INHALT

EINLEITENDE WORTE

Seite 2

DIE BESETZUNG

Seite 3

DARUM GEHT'S – EINE KURZE STÜCKBESCHREIBUNG

Seite 4

BERTOLT BRECHT UND DAS EPISCHE THEATER

Seite 5

„DREIGROSCHENOPER“ – ENTSTEHUNGSGESCHICHTE

Seite 7

ZUR INSZENIERUNG VON MATTHIAS FALTZ AM HESSISCHEN LANDESTHEATER MARBURG (Interview)

Seite 9

UND DER MACK’ IST EINE FRAU... Pressestimme zur Besetzung des Mackie Messer mit einer Schauspielerin

Seite 12

EINLEITENDES ZUR SPIELPRAKTISCHEN NACHBEREITUNG

Seite 13

ARBEITSVORSCHLAG 1 „Und, wie war's?“ - Reflektion des Theaterbesuchs

Seite 14

ARBEITSVORSCHLAG 2a „Typisch“ Mann? „Typisch“ Frau? – Geschlechterrollenstereotype

Seite 15

ARBEITSVORSCHLAG 2b Seite 16 „Denn die einen sind im Dunkeln...“ – (Kinder-)Armut in Deutschland & Europa ARBEITSVORSCHLAG 2c „...und die andren sind im Licht“ – Assoziationen zu Licht und Schatten

Seite 17

WARM UPS & COOL DOWNS

Seite 18

KOPIERVORLAGEN

Seite 19

QUELLEN UND LITERATURVERZEICHNIS

Seite 23

IMPRESSUM

Seite 24

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EINLEITENDE WORTE

Liebe Pädagoginnen und Pädagogen, mit diesem Begleitmaterial wollen wir Ihnen Informationen und spielpraktische Anregungen an die Hand geben, mit denen Sie ihren Theaterbesuch der „Dreigroschenoper“ vor- und nachbereiten können. Die Materialien und alle Arbeitsvorschläge sind, ebenso wie die Inszenierung, für SchülerInnen ab 14 Jahren geeignet. Auf den ersten Seiten finden Sie Informationen rund um die Inszenierung der „Dreigroschenoper“ am Hessischen Landestheater Marburg, außerdem Hintergrundwissen zum Autor und zur Entstehungsgeschichte des Werkes. Ein fiktives Interview mit Bertolt Brecht und dem Marburger Intendanten und Regisseur Matthias Faltz gibt Aufschluss über die Motivationen und künstlerischen Entscheidungen der Marburger Inszenierung und über den Transfer der im Stück verhandelten Themen ins Heute. Dieser Teil ist für die informative Vorbereitung des Stückbesuchs geeignet. Im zweiten Teil der Begleitmaterialien (ab Seite 12) finden sie Anregungen und Vorschläge zur Nachbesprechung und zur spielpraktischen Vertiefung ausgewählter Themen des Stücks mit Ihren SchülerInnen. Das Team der Theaterpädagogik wünscht Ihnen und Ihren SchülerInnen einen gelungenen Theaterabend und eine kreative und anregende Auseinandersetzung mit dem Stück! Herzlichst, Ihre

Nina Eichhorn (Theaterpädagogin)

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DIE BESETZUNG Die Dreigroschenoper Ein Stück mit Musik in einem Vorspiel und acht Bildern von Bertolt Brecht Nach John Gays „The Beggar’s Opera“ Übersetzt aus dem Englischen von Elisabeth Hauptmann, Musik von Kurt Weill Mit: Jonathan Jeremiah Peachum

Thomas Streibig

Frau Peachum

Annette Müller

Polly Peachum, ihre Tochter

Sonka Vogt

Macheath (Mackie Messer)

Oda Zuschneid

Brown, Polizeichef / Reitender Bote

Ogün Derendeli

Lucy, seine Tochter / Betty

Kathrin Hylla

Seeräuber-Jenny

Gergana Muskalla/Marlene Hoffmann

Ede Jimmy Filch / Münz-Matthias

Timo Hastenpflug

Trauerweiden-Walter / Hakenfinger-Jakob / Konstabler andere Ganoven / Huren

Gerhard Skrzypiec, Michael Schneider, Jonas Breitstadt, Florian Gierlichs

Regie: Matthias Faltz Musikalische Leitung: Michael Lohmann Video: Philipp Karau, Stephanie Kayß Bühne: Leopold Volland, Lars Herzig Kostüme: Mascha Schubert Dramaturgie: Alexander Leiffheidt Regieassistenz: Anne Richter Musiker: Andreas Jamin, Christian Keul, German Marstatt, Hans Kreuzinger, Jacob Bussmann, Johannes Eimermacher, Peter Ehm Premiere: 31. August 2012, Stadthalle Erwin-Piscator-Haus, Marburg Dauer: ca. 2,5 Stunden, eine Pause

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DARUM GEHT'S – EINE KURZE STÜCKBESCHREIBUNG Jonathan Peachum ist der Bettlerboss im Londoner Stadtteil Soho und er ist sauer: Seine Tochter Polly hat hinter seinem Rücken den Gangster und Brandtstifter Macheath (dt.: Mackie Messer) geheiratet. Also beschließt Peachum, den Ganoven bei der Polizei zu verpfeifen. Macheath gelingt zunächst die Flucht, er findet Unterschlupf in einem Hurenhaus. Doch dann spielt Peachum ein Ass aus, mit dem niemand gerechnet hat... Im Allgemeinen ist es die Figur des Macheath, die uns als Zuschauer der „Dreigroschenoper“ am meisten fasziniert: ein skrupelloser, charmanter Mordkünstler. Aber Macheath ist ein Auslaufmodell. Peachum gegen Macheath: Das ist der Konflikt des Fabrikanten gegen den Heimarbeiter, verlagert ins Berufsverbrechermilieu. Dass in der organisierten Kriminalität die Gesetze des Marktes gelten, bedarf keiner Belege. Aber um Peachum und Macheath geht es in der „Dreigroschenoper“ nur vordergründig. Der eigentliche Protagonist Brechts ist die Masse: das Heer der Bettler. John Gay, dessen „Beggar’s Opera“ von 1728 Brecht als Vorlage diente, kannte deren Elend gut. Das London des 18. und 19. Jahrhunderts war ein Schmutzhaufen; die Lebensbedingungen in den Slums waren unvorstellbar schlecht. Im Gegensatz dazu ist das London Brechts imaginär. In welcher Zeit seine Oper spielt, ist somit gleichgültig – solange es das Heute ist. Der entscheidende Unterschied: Gay karikierte die Mächtigen seiner Zeit. Brecht richtet sich an die Machtlosen der unseren. Dass sich die Ausgestoßenen zum Bettlerheer organisieren können, ist übrigens keine Utopie, sondern Realität. London im August 2011: Die ,Prolls’ formieren sich per Blackberry Messenger zum plündernden Mob. Über 100 Läden und Wohnungen werden zerstört, fünf Menschen sterben. Eine Weiterentwicklung, die Brecht interessiert hätte: Wo bei ihm Peachum war, ist nun das digitale Medium. Den ausbeuterischen Organisator brauchten die Plünderer nicht; sie arbeiteten auf eigene Rechnung.

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BERTOLT BRECHT UND DAS EPISCHE THEATER

Bertolt Brecht Bertolt Brecht wurde am 10 Februar 1898 in Augsburg als Sohn eines Papierfabrikdirektors geboren. Die ersten Jahre verbrachte die Familie in einem handwerklichen Umfeld, so war im Erdgeschoss des Wohnhauses eine Feilenhauerei untergebracht. Brecht war ein eher schüchterner Junge und hatte ein Herzleiden. Von seiner Mutter wurde er liebevoll umsorgt, zu ihr entwickelte er ein besonders inniges Verhältnis. Nach der Volksschule besuchte Brecht von 1908 bis 1917 das Königliche Realgymnasium zu Augsburg (heute: Peutinger-Gymnasium), welches er im Ersten Weltkrieg mit dem Notabitur abschloss. Sein poetisches Talent zeigte sich schon sehr früh. Bereits 1913 schrieb er in seinem Tagebuch „Ich muß immer dichten“. Sein Studium mit den Fächern Naturwissenschaften, Medizin und Literatur musste Brecht beenden, weil der Kriegsdienst als Sanitäter ein zeitgleiches Studium nicht zuließ. 1920 starb seine Mutter. In dieser Zeit schloss Brecht mehrere Bekanntschaften, die sein späteres Schaffen deutlich beeinflussten; so z. B. 1920 eine enge Freundschaft mit dem berühmten Kabarettisten Karl Valentin. Von da an pendelte Brecht häufig zwischen Berlin und München, um weitere Beziehungen zu Personen aus dem Theater und der literarischen Szene aufzubauen.

Als überzeugter Kommunist baute Brecht seine politischen Ansichten und Ziele mit in seine Werke ein. Kurz vor der Bücherverbrennung flüchtete er am 28. Februar nach 1933 nach Dänemark. In seinem fünfjährigen Exil entstanden mehrere seiner berühmtesten Werke. Bereits kurz nach dem Krieg wurde Brecht von Freunden gedrängt, nach Deutschland zurückzukommen und seine Stücke selbst zu inszenieren. Am 22. Oktober 1948 kehrte Brecht nach Deutschland zurück. Als wichtige Aufgabe empfand er es, wieder im Theaterbetrieb Fuß zu fassen. Zusammen mit Helene Weigel gründete er das Berliner Ensemble und war seitdem als Regisseur und Autor zahlreicher (Theater-)Texte tätig. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Brecht in Ost-Berlin, bis er am 14. August 1956 an den Folgen eines Herzinfarktes starb.

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Das epische Theater Als Autor „epischer Dramen“ war es Brechts Ziel, gesellschaftliche und politische Veränderungen in Gang zu setzen. Im Gegensatz zum naturalistischen Theater, bei dem sich der Zuschauer in einer passivrezeptiven Rolle befindet, wollte er im epischen Drama die Wirklichkeit als veränderungsbedürftig und veränderbar zeigen. Der Zuschauer sollte dazu bewogen werden, sich an dieser Veränderung und Umgestaltung seiner Realität – und somit der Welt – zu beteiligen. Das vermeintlich Altbekannte sollte in neuem Licht gezeigt werden, um so dem Zuschauer die Distanzierung zu ermöglichen. Das Theater sollte vom Repräsentations- und Unterhaltungsinstrument für die Oberschicht zu einer kritischen Veranstaltung insbesondere für das Proletariat reformiert werden. Eine zentrale Kategorie des epischen Theaters ist die „Verfremdung“. Durch eine Vielzahl von Verfremdungseffekten, sollte verhindert werden, dass sich die Zuschauer in die Handlung des Stückes einfühlen und mit den Protagonisten mitfühlen. So sind Brechts Stücke unterbrochen von Songs und Anmerkungen, in denen die Schauspieler aus ihren Rollen treten und das Geschehen kommentieren. Die Schauspieler führen ihre Bühnenfiguren somit vor und distanzieren sich von deren Handlungen. Unterstützt wurden diese von den Spielern angewandten Effekte durch die verfremdete Gestaltung des Bühnenbildes, der Kostüme, der Maske und durch die Beleuchtung. Projektionen von Filmen und von Szenentiteln verwiesen außerdem in Brechts Inszenierungen auf die Übertragbarkeit der Bühnenhandlung auf die großen gesellschaftlichen Zusammenhänge. Brechts Zuschauer sollten staunen, fragen und zum Denken und Handeln animiert werden. Nicht immer gelang ihm dies jedoch. Brecht musste sich darüber bewusst werden, dass auch seine Dramen vom Publikum „konsumiert“ wurden, dass sich die Zuschauer von den dargestellten Handlungen und Gefühlen der Bühnenfiguren mitreißen ließen. Dazu der Dramaturg der Marburger Inszenierung Alexander Leiffheidt: „Selbstverständlich sind Brechts Stücke Waren, das hat er selbst am besten gewusst. Aber sie sind auch immer Aufforderungen zum Denken, und als solche eben keine Gegenstände, sondern Praktiken, also Denk-Tätigkeiten, die sich – und uns! – durch die Strategien ihres Erfinders immer wieder der Verdinglichung und Fetischisierung entziehen können. Der Widerspruch zwischen Kritik und Unterhaltung besteht – der Widerspruch zwischen den Schlagern Weills, der Bürgerschelte Brechts und den Komplexitäten unserer Welt besteht ebenfalls. Das eine ist kein eindimensionaler Kommentar zum anderen, sondern beide, Stück und Zeit, stehen mittlerweile längst in einem Widerspruch, den wir verschärfen, vertiefen und erfahrbar machen müssen. Nicht die Aktualität der „Dreigroschenoper“ sollte uns somit interessieren (denn die liegt auf der Hand) sondern vielmehr das, was an ihr heute falsch ist. Nicht die ›ewige Wahrheit‹ sollte uns interessieren, dass der Bürger ein Verbrecher sei, sondern die vorläufige, da heutige Erkenntnis, dass es den Bürger (und somit auch den Verbrecher) vielleicht bald gar nicht mehr geben wird. Dann erst führen wir Brecht auf, den Autor, und nicht Brecht, das Label. Wenn wir Brechts Stücke – besonders die so verführerische „Dreigroschenoper“! – als Anleitung zum Denken verstehen, können wir nach wie vor viel an ihm lernen, ohne dabei von ihm lernen zu müssen. Und auch dass das Ganze Spaß machen darf, ist ein Widerspruch, mit dem wir leben können sollten. Denn wie sagt der große BB: Das Theater bleibt Theater, auch wenn es Lehrtheater ist, und soweit es gutes Theater ist, ist es amüsant.“

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„DREIGROSCHENOPER“ – ENTSTEHUNGSGESCHICHTE Die Uraufführung der „Dreigroschenoper“ fand am 31. August 1928 im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin statt. Das „Stück mit Musik in einem Vorspiel und acht Bildern“ wurde die erfolgreichste deutsche Theateraufführung bis 1933, einige Musiknummern, wie die Moritat von Mackie Messer, wurden Welthits. Die Handlung des Stückes hat im weiteren Sinne einen historischen Hintergrund. Im 18. Jahrhundert gab es in London eine gut organisierte Verbrecherbande, deren Anführer Jonathan Wild war. Diese Bande hatte mehrere Abteilungen, die einerseits Diebstahl und Raub betrieben, andererseits den Opfern die Beute zum Wiederkauf anboten. Sie unterhielt enge Beziehungen zur Polizei und lieferte dieser missliebige Komplizen aus. Wild wurde 1725 in London hingerichtet. Diese Konstellation griff John Gay für seine Beggar’s Opera (1728) auf, Jonathan Peachum trägt in der Oper Züge des Jonathan Wild. Vorlage von Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ war die deutsche Übersetzung dieser Beggar’s Opera. Im Original lautete die Bezeichnung: „Ein Stück mit Musik in einem Vorspiel mit 9 Bildern nach dem Englischen des John Gay. Übersetzung: Elisabeth Hauptmann. Bearbeitung: Bertolt Brecht. Musik von Kurt Weill“. Die „Dreigroschenoper“ ist – trotz des Namens, der an die Vorlage angelehnt ist – keine durchkomponierte Oper für Opernsänger, sondern ein Theaterstück mit 22 abgeschlossenen Gesangsnummern für singende Schauspieler. Die Idee zur Aufführung der „Dreigroschenoper“ entstand im Frühjahr 1928 im Zusammenhang mit der geplanten Wiedereröffnung des Berliner Schiffbauerdamm-Theaters (heute Spielort des Berliner Ensembles). Bertolt Brecht und der junge Kurt Weill wollten gemeinsam eine neue Form des Musiktheaters entwickeln. Gemäß Brechts Idee vom „epischen Theater“ sollte das Geschehen auf der Bühne die Zuschauer nicht in eine illusionäre Welt hineinziehen, sondern sie vielmehr zur kritischen Reflexion anregen. Am 1. August 1928 war Probenbeginn unter der Regie von Erich Engel. Die musikalische Leitung hatte Theo Mackeben; es spielte die Lewis Ruth-Band. Das Bühnenbild wurde von Caspar Neher entworfen. Besetzt waren: Harald Paulsen, Peter Lorre, Rosa Valetti, Carola Neher, Kurt Gerron, Kate Kühl, Ernst Busch und Naphtali Lehrmann. Kurt Weill trug zu Beginn seine Lieder vor und überzeugte den Regisseur Erich Engel und Direktor Aufricht, seiner Frau Lotte Lenya die Rolle der Spelunken-Jenny zu übertragen. In ihren Erinnerungen schrieb Lotte Lenya, dass die Produktion unter keinem guten Stern stand und in der Stadt Gerüchte über ein „völlig unzugängliches“ Stück, das Brecht geschrieben hätte, verbreitet wurden. Bald begann eine Pechsträhne: Carola Nehers Mann, der Dichter Klabund, litt an Tuberkulose und musste nach einem Anfall in ein Sanatorium nach Davos. Als sich seine Lage verschlimmerte, brach Neher die Proben ab und fuhr zu ihm. Nach Klabunds Tod kam Neher am 18. August wieder nach Berlin zurück und wurde bei den Proben zweimal ohnmächtig, bis ihr ein Arzt das Auftreten untersagte. Später bekannte sie, dass sie Brechts Songs, die er teilweise von dem französischen Dichter François Villon abgeschrieben hatte, nicht ertragen konnte, da Villon Klabunds Lieblingsdichter gewesen war. Eine Woche vor der Premiere übernahm Roma Bahn von ihr die Rolle der Polly. Die letzten Tage vor der Premiere waren von Auseinandersetzungen zwischen dem Regisseur und dem Autor über die Songs geprägt, es wurde sogar vorgeschlagen, die Musik ganz zu streichen. Als der Regisseur Erich Engel nach einem Streit um den Schlusschoral entnervt das Handtuch warf, übernahm Brecht in letzter Minute selbst die Regie, außer ihm glaubte aber niemand mehr an eine Premiere. Die Uraufführung fand am 31. August 1928 statt und war einer der größten Erfolge der Theatergeschichte, allerdings nicht sofort. Zunächst herrschte eisige Stimmung und offensichtliche Ablehnung im Zuschauer-

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raum. Erst mit dem Kanonensong brach das Eis. Beifallsstürme erklangen, das Publikum trampelte, der Song musste sogar wiederholt werden. Von da an wurde jeder Satz beklatscht und die „Dreigroschenoper“ wurde zum größten Theatererfolg der Weimarer Republik. Bereits im Januar 1929 wurde sie an 19 deutschen Theatern sowie in Wien, Prag und Budapest gespielt. Die „Dreigroschenoper“ sollte später das erfolgreichste deutsche Stück des 20. Jahrhunderts werden. Doch vorerst fiel es, so wie alle Werke Brechts, der nationalsozialistischen Zensur zum Opfer. 1933 wurde „Die Dreigroschenoper“ verboten. Das Stück war bis dahin in 18 Sprachen übersetzt und mehr als 10.000 Mal an europäischen Bühnen aufgeführt worden. Ihre erste Wiederaufführung im Nachkriegs-Berlin erlebte sie bereits im August 1945 am Hebbel-Theater mit Hubert von Meyerinck in der Hauptrolle. 1949 spielten die Münchner Kammerspiele eine von Brecht veränderte Fassung mit Hans Albers als Macheath. Von da ab reihte sich eine Inszenierung an die andere. Von der Kritik eher skeptisch aufgenommen wurde die Inszenierung von Klaus Maria Brandauer 2006 im Berliner Admiralspalast. Campino spielte Mackie Messer, an seiner Seite standen Jenny Deimling als Lucy, Maria Happel als Spelunkenjenny, Gottfried John als Peachum, Birgit Minichmayr als Polly, Katrin Sass als Frau Peachum und Michael Kind als Tiger Brown. Trotz aller Kritik besuchten mehr als 70.000 Zuschauer die 45 Vorstellungen. Am Hessischen Landestheater Marburg gibt es nun mit der Besetzung des Macheath mit einer Frau, der Schauspielerin Oda Zuschneid, eine Weltneuheit in der Aufführungsgeschichte des Werkes.

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ZUR INSZENIERUNG VON MATTHIAS FALTZ AM HESSISCHEN LANDESTHEATER MARBURG „Der soziale Sprengstoff wächst“ Im Gespräch mit Bertolt Brecht und Matthias Faltz Besitzt „Die Dreigroschenoper“ heute noch einen Bezug zur Gegenwart, oder zeigt sie uns eine Vergangenheit, die mittlerweile überwunden ist? Matthias Faltz: Es geht uns immer um den Abgleich mit heutigen Erfahrungen bei der Auswahl der Stücke, und da finden wir massiv aktuelle Bezüge. Der soziale Sprengstoff, der aus dem Gefühl der Benachteiligung unterer Schichten entsteht, ist in den letzten Jahren gewachsen bzw. mehrfach explodiert. Peachums Macht beruht auf dem Wissen um die Gefahr für die Regierung und seinen Möglichkeiten, die Unruhen anzuheizen. Bertolt Brecht: Die „Dreigroschenoper“ befasst sich mit den bürgerlichen Vorstellungen nicht nur als Inhalt, indem sie diese darstellt, sondern auch durch die Art, wie sie darstellt. Sie ist eine Art Referat über das, was der Zuschauer im Theater vom Leben zu sehen wünscht. Gleichzeitig sieht er aber auch einiges, was er nicht zu sehen wünscht – er sieht seine Wünsche also nicht nur ausgeführt, sondern auch kritisiert. Insofern eine Produktion dem Rechnung trägt, hat sie immer einen Bezug zur Gegenwart der Zuschauer. In dieser Inszenierung wird sehr stark mit dem Medium der Projektion gearbeitet. Welche Absichten verfolgen Sie damit? BB: Die Tafeln, auf welche zum Beispiel Auszüge aus den Szenen projiziert werden, sind ein primitiver Anlauf zur Literarisierung des Theaters. Diese Literarisierung muss in größtem Ausmaß weiterentwickelt werden, wie überhaupt die Literarisierung aller öffentlichen Angelegenheiten. In der aktuellen Inszenierung wird Macheath von einer Frau gespielt – und zwar als ein oftmals sehr feminin wirkender Mann. Gleichzeitig haben wir mit Polly eine junge Frau, die ihre anfängliche Schüchternheit ablegt und zur beinharten Geschäftsfrau wird, ihren Willen mit roher – maskuliner? – Gewalt durchzusetzen weiß. Herr Faltz, sehen Sie die Geschlechterrollen im Jahr 2012 als überholtes Modell an? Finden Sie, Herr Brecht, darin Ihre Figuren wieder?

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MF: Es geht weniger um das Problem der Geschlechterrollen, als um das Lösen der Klischees, die sich mit einer Figur wie Mackie Messer verbinden. Bei uns entsteht durch die Besetzung bzw. Verfremdung automatisch ein Abstand zum Bild des bösen Gangsters als Ursache allen Übels. Man schaut gezwungenermaßen hinter das oberflächliche Problem und landet beim Versuch der Interpretation bei den darunterliegenden Schichten. BB: Der Zuschauer soll nicht auf den Weg der Einfühlung verwiesen werden, was die Übermittlung des Stoffes betrifft, sondern zwischen dem Zuschauer und dem Schauspieler findet ein Verkehr statt, und bei aller Fremdheit und allem Abstand wendet der Schauspieler sich doch letzten Endes direkt an den Zuschauer. Dabei soll der Schauspieler dem Zuschauer über die Figur, die er darzustellen hat, mehr erzählen, als „in seiner Rolle steht“. Er muss natürlich jene Haltung einnehmen, durch die es sich der Vorgang bequem macht. Er muss jedoch auch noch Beziehungen zu anderen Vorgängen als denen der Fabel eingehen können, also nicht nur die Fabel bedienen. Das Heer der Bettler und die Ganovenbande: das sind Statisten, unbedeutende Individuen, die zwischen den Machtkämpfen Macheaths und Herrn Peachums aufgerieben werden. Nicht wahr? MF: Im Gegenteil. Die Bettler werden in ihrer Masse zum Druckmittel für die Interessen der Protagonisten und die Kleinganoven entscheiden durch ihre Verweigerung über das Ende des Gangsterbosses. BB: Ja, die Bedeutung der Masse als wesentlicher Faktor der Handlungsentwicklung ist zum Beispiel etwas, was meine „Dreigroschenoper“ von der „Beggar`s Opera“ John Gays deutlich unterscheidet. Auch hier ist der größte Feind das Klischee: Die Schauspieler sollten es unbedingt vermeiden, diese Banditen als eine Rotte jener traurigen Individuen mit roten Halstüchern hinzustellen, die die Rummelplätze beleben und mit denen kein anständiger Mensch ein Glas Bier trinken würde. Das Bühnenbild zu der aktuellen Inszenierung beeindruckt durch seine Wandelbarkeit. Ist es aber auch ein geeigneter Bühnenaufbau für die „Dreigroschenoper“? BB: Eine Bühne für die „Dreigroschenoper“ ist umso besser aufgebaut, je größer der Unterschied zwischen ihrem Aussehen beim Spiel und ihrem Aussehen beim Song ist. MF: Und je klarer die Unterschiede zu Tage treten. Licht und Dunkel, Oben und Unten, Hinten und Vorn, das sind die wesentlichen semantischen Aufteilungen. Die Bühne muss die Möglichkeit zur Verfremdung bieten, sie muss einen ›Sinnraum‹ schaffen und nicht einfach naturalistische Vorstellungen beispielsweise von einem Hinterhof oder einem Gefängnis etc. nachbauen. Die Bilder, die im Kopf entstehen, sind immer die stärksten und besten Bilder. Herr Brecht, Herr Faltz: Vielen Dank für das Gespräch.

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UND DER MACK' IST EINE FRAU... Pressestimme zur Besetzung des Mackie Messer mir einer Schauspielerin Marburger Magazin Express, 07.09.2012

„Skrupellos gut gespielt“ Dreigroschenoper in Marburg: Weltpremiere zwischen Gaunerkomödie, Doku-Soap und Frauenpower von Jenny Berns Am Landestheater Marburg ist man ein Wagnis eingegangen: Die Figur des Mackie Messer aus Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ wird erstmals von einer Frau gespielt - eine Weltpremiere. Die Veränderung wurde möglich dank der Zustimmung von Brecht-Erbin Barbara Brecht-Schall. Netter Gag, bloße Theaterattitüde, oder macht das tatsächlich einen Sinn? Laut Ankündigung verfolgt Regisseur Matthias Faltz mit der veränderten Besetzung eine Intention: Macheath, dem Gangsterboss, soll das alte MachoImage durch eine weibliche Interpretation der Rolle genommen werden, mit dem Ziel, die Brechtsche Idee der Verfremdung an heutige Erfahrungen anzupassen. Doch kann das funktionieren? Die gesellschaftskritischen Theaterstücke Brechts, lange Zeit nur noch Repertoire-Klassiker, gewinnen angesichts von Wirtschaftskrise und wachsender Schere zwischen Arm und Reich, heute wieder an Brisanz. In Marburg bleibt man dabei - trotz aller Veränderungen - im Großen und Ganzen dem Original treu. Die Inszenierung Faltz' geht allerdings über eine bloße Hommage an die Ideen Brechts hinaus. Das Stück wird konsequent ins 21. Jahrhundert geführt. Dies beginnt schon beim Bühnenbild: Die alten Schrifttafeln wurden durch Projektionen ersetzt, die Kulisse wechselt zwischen steril weißer BusinessLounge, die an einen bekannten Computer-Hersteller erinnert und backsteindominiertem, dunklem Hinterhof. Jonathan Peachum erscheint, skrupellos gut gespielt von Thomas Streibig, als aalglatter Geschäftsmann; vordergründig politisch korrekt, jedoch ausschließlich im eigenen Interesse handelnd, brieft er die bei ihm angestellten Bettler, wie man den Menschen am besten das Geld aus der Tasche ziehen kann. Seine Gattin (gespielt von Annette Müller) wird in der Marburger Inszenierung ganz zur selbstverliebten High-Society-Lady, wie sie dem Zuschauer aus diversen Doku-Soaps bekannt sein dürfte. Genau wie die Figur der Tochter Polly Peachum (gespielt von Sonka Vogt) die sich von der schüchternen Verliebten zur knallharten Geschäftsfrau entwickelt, bekommt auch der Charakter der Mrs. Peachum in der Marburger Aufführung mehr Gewicht beigemessen. So ist es, anders als bei Brecht, die Dame des Hauses, die maßgeblich die Verhaftung Mackie Messers vorantreibt. Mit großer Präsenz versteht es Annette Müller, dieser Rolle Leben einzuhauchen. Die beworbene Weltpremiere des weiblichen Mackie Messer ist dank der hervorragenden schauspielerischen Leistung von Oda Zuschneid ein echter Coup. Anstelle des harten Underdogs gibt es jetzt einen schmierigen Mafiosi mit Yuppie-Attitüde, der bestens in heutige Verhältnisse passt. In Erweiterung dazu verwandelt sich das glorreiche Gangstermilieu der 20er in eine Art Gaunerkomödie mit Einschüben, die an erfolgreiche Mafia-Dramen wie Martin Scorseses „Goodfellas" erinnern. Mag der Exkurs ins Comedy-Genre Brecht-Kennern in der ersten Hälfte der Aufführung noch „Bauchschmerzen" bereiten, so fügt sich das Ganze nach der Pause zu einem stimmigen Bild. Wenn die alten Kumpel, wie Polizeichef Tiger Brown, Mackie in den Rücken fallen oder die Ehefrau dem nun machtlosen Gangster nichts mehr abgewinnen kann, schließt sich der Kreis zum Anfang der Inszenierung. Dort lassen die Marburger eben nicht die Moritat von Mackie Messer, sondern den Song „Denn wovon lebt der Mensch?" („Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral") singen. Passend dazu auch die Wahl der SchlussSzene, bei der Matthias Faltz auf die Variante des Dreigroschenfilms aus 1930 zurückgreift: „Denn die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht. Und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht". Eine insgesamt gelungene Inszenierung, bei der die „Modernisierungen" nicht um ihrer selbst Willen vorgenommen wurden, sondern die ursprüngliche Intention Brechts in einen aktuellen Bezug gesetzt wird.

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EINLEITENDES ZUR SPIELPRAKTISCHEN NACHBEREITUNG Zunächst einmal hoffen wir, dass Sie einen gelungenen Theaterbesuch erlebt haben. Auf den folgenden Seiten finden Sie Anregungen zur spielpraktischen Nachbereitung der Marburger Inszenierung der „Dreigroschenoper“ mit Ihren SchülerInnen. Als Zeitraum dafür ist jeweils eine großzügige doppelte Schulstunde von insgesamt 90 Minuten vorgesehen. Arbeitsvorschlag 1 bildet den Ausgangspunkt für alle weiteren Arbeitsvorschläge. Je nach Interessenlage können Sie an diesen die Arbeitsvorschläge 2a, 2b oder 2c anschließen, welche sich thematisch voneinander unterscheiden. Arbeitsvorschlag 2a legt seinen Schwerpunkt auf die spielerische Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen und –stereotypen. Arbeitsvorschlag 2b beschäftigt sich mit dem Phänomen der Kinderarmut in der deutschen Wohlstandsgesellschaft und in Arbeitsvorschlag 2c geht es um die assoziative und spielpraktische Auseinandersetzung mit den im Stück auf besondere Weise verhandelten Kontrasten „Licht und Dunkel“. Kopiervorlagen für die Arbeitsvorschläge finden Sie auf Seite 19 ff. der Materialien. Gerade vor den spielpraktischen Übungsteilen sollte ein kurzes Warm up stehen, um die SchülerInnen auf diese besondere Form der Unterrichtsgestaltung einzustimmen, um den Kopf frei und den Körper lebendig werden zu lassen. Cool Down-Übungen wiederum gestalten den Ausklang der Stunde angenehm. Eine Auswahl simpler, aber effektiver Warm Up- und Cool Down-Übungen finden Sie auf Seite 18 dieser Materialmappe. Suchen Sie sich die aus, die am besten zu Ihnen und Ihren SchülerInnen passen. Sollten Sie eigene Übungen dafür haben, benutzen Sie diese. Wir wünschen Ihnen viel Spaß dabei!

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ARBEITSVORSCHLAG 1 „Und, wie war's?“ - Reflektion des Theaterbesuchs Materialien: keine Vorbereitung: keine

Dauer: bei 25 SchülerInnen ca. 15 Minuten

Dieser Arbeitsvorschlag dient der ersten Reflektion des Vorstellungsbesuches in der Gruppe. Die gesammelten Eindrücke bekommen hier Raum, es entsteht ein erster Eindruck darüber, wie die SchülerInnen den Theaterbesuch fanden, was ihnen besonders aufgefallen ist und auch was sie irritiert hat und welche Fragen sie sich stellen. Jeder darf seine Meinung äußern, Diskussionen sind erwünscht, eine falsche Bemerkung gibt es nicht.

Ablauf: Die SchülerInnen sitzen idealerweise im Stuhlkreis und äußern sich der Reihe nach zum Theaterbesuch. Sie können das Gespräch mit folgenden Fragen anregen:

Diskussionsanregung

• Was hat Euch am besten gefallen? Welches waren eure Lieblingsmomente und warum? Welche Lieder mochtet ihr besonders und warum?

• Welche Figuren waren euch sympathisch / unsympathisch und warum? • Wie fandet ihr das Bühnenbild und die Kostüme? • An welchen Stellen musstet ihr lachen? Was fandet ihr traurig oder tragisch?

• Was hat euch nicht so gut gefallen und warum? • Wie fandet ihr die Bezugnahme zur Aktualität der im Stück verhandelten Themen wie Polizeigewalt etc. mittels Videoprojektionen? Wo kann man noch aktuelle politische und gesellschaftliche Bezüge herstellen (Occupy-Bewegung, Osteuropäische „Bettlerbanden“, Armut in der deutschen Wohlstandsgesellschaft)

• Wie wirkte die Besetzung des Macheath mit einer weiblichen Schauspielerin auf euch? Warum glaubt ihr, hat der Regisseur dies so entschieden? (Interview mit dem Regisseur Matthias Faltz, siehe Seite 10f.)

Hinweis: Achten Sie darauf, dass die SchülerInnen ihre Meinungen begründen. Dies schult ihre Fähigkeit als mündige Zuschauer Theater unter inhaltlichen, formalen und ästhetischen Gesichtspunkten interpretieren und beurteilen zu können, denn es schärft ihre Wahrnehmung für die unterschiedlichen theatralen und theaterästhetischen Mittel, sowie deren mögliche Wirkungen auf sie selbst als Zuschauer.

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ARBEITSVORSCHLAG 2a „Typisch“ Mann? „Typisch“ Frau? – Geschlechterrollenstereotype Materialien: evtl. Papier und Stift, evtl. Kopiervorlage 3 als inhaltliche Vorbereitung für den/die Pädagogen/in und/oder als Vertiefung für die SchülerInnen im Anschluss an die Übung Vorbereitung: keine Dauer: bei 25 SchülerInnen ca. 45 Minuten Die Marburger Besetzung des Mackie Messer mit einer Schauspielerin sorgt für einen neuen Blick auf die Figur, und möglicherweise auch für Irritationen beim Publikum, welches die geschlechtsstereotype Darstellung des Mackie durch einen Mann gewohnt ist. In dieser Übung sollen sich die SchülerInnen mit der Frage beschäftigen, warum es bestimmte geschlechtspezifische Erwartungshaltungen gibt und was passiert, wenn diese gebrochen und verfremdet werden. Dabei soll das spielerische Moment im Vordergrund stehen. Das Entstehen komischer und auch alberner Situationen ermöglicht ein unverkrampftes Herangehen ans Thema und eröffnet neue Sichtweisen und Erfahrungen auch bezüglich der eigenen, als selbstverständlich erachteten Geschlechterrollenidentität. Ablauf: Nach einem kurzen Warm up (siehe Seite 18) wird ein Stuhlhalbkreis gebildet. Bezugnehmend auf die Diskussionsbeiträge zur Frage nach der Wirkung der weiblichen Besetzung des Mackie Messer aus Arbeitsvorschlag 1 sollen die Schüler nun folgende Frage diskutieren: •

Gibt es „typisch“ männliche und „typisch“ weibliche Gestik, Mimik, Körperbewegungen und Körperhaltungen?

Wer eine Idee hat, geht nach vorne und macht diese vor. Wer sich nicht traut, kann auch beschreiben, was er meint und jemand anderes spielt es vor. Die Schüler sollen sich die gesammelten Gesichts- und Körperausdrücke merken (wenn es sehr viele sind, kann auch ein Protokollant bestimmt werden.) In einem zweiten Schritt wird nun folgende Frage diskutiert: •

Gibt es „typisch“ männliche und „typisch“ weibliche Sätze?

Die Ideen werden an der Tafel oder einem Flipchart nach Kategorie sortiert aufgeschrieben. Dann sucht sich jeder der Jungen eine „typisch“ weiblichen Körper- und Gesichtsausdruck und einen „typisch“ weiblichen Satz aus und probt diese. Die Mädchen proben wiederum die „typisch“ männlichen Bewegungen und Sätze. Es wird Platz für einen Laufsteg geschaffen, auf dem die SchülerInnen nacheinander nach vorne laufen, dort in ihrer geprobten Körperhaltung kurz einfrieren und anschließend ihren Satz sagen. Jeder Spieler bekommt Applaus, dann ist der bzw. die Nächste dran. Anschließend können die SchülerInnen beraten, wer am „authentischsten“ das Stereotyp des jeweils anderen Geschlechts imitiert hat und einen Sieger bzw. eine Siegerin küren. Hinweis: Bei dieser Laufstegnummer ist absolute Freiwilligkeit notwendig, niemand sollte genötigt werden mitzumachen, der nicht möchte! Das Gefühl sich bloßzustellen, muss absolut vermieden werden. Im Anschluss können die untenstehenden Fragen das Thema inhaltlich vertiefen. Bei verstärktem Interesse kann in der Gruppe der Text von Kopiervorlage 3 (Seite 21) gelesen und diskutiert werden. Diskussionsanregung • Woher mag es kommen, dass es eine Vielzahl an unterschiedlichen Verhaltensweisen bei Männern und Frauen gibt? • Ab wann beginnt ein Mensch, sich entsprechend seines Geschlechts, bzw. den damit verbundenen Erwartungshaltungen zu verhalten? Wie verhalten sich Kinder? • Wie habt ihr euch in der Rolle der Männer / Frauen gefühlt? Wie begründet ihr dieses Gefühl? • Welche Vorteile hätte es, wenn es dieses stereotype Rollenverhalten nicht gäbe und alle „gleich“ wären? Was wären eurer Meinung nach die Nachteile? • Wann wird ein „typisches“ Rollenverhalten zur „Zwangsjacke“ für Menschen? Kennt ihr solche Situationen? Diskutiert gemeinsam über mögliche Lösungen. 15

ARBEITSVORSCHLAG 2b „Denn die einen sind im Dunkeln...“ – (Kinder-)Armut in Deutschland & Europa Licht und Dunkel - diese beide Gegensätze werden in der „Dreigroschenoper“ metaphorisch für das Oben und Unten der sozialen Schichten, für Armut und Wohlstand benutzt. Die folgenden Arbeitsschritte und Übungen dienen zur Auseinandersetzung Ihrer Schüler mit dem Thema Armut, unter dem besonderen Fokus auf Kinder und Jugendliche. In gemeinsamen Gesprächen können die Jugendlichen sich über ihre eigenen Erfahrungen und Meinungen und möglichen Irritationen, sowie ihren Vorurteile diesbezüglich austauschen und sich im Idealfall selbst im sozialen Gefüge unserer Gesellschaft verorten. Materialien: Kopiervorlage 1 (Seite 19) in ausreichender Anzahl, Stifte Vorbereitung: keine Dauer: ca. 60 Minuten Ablauf: Im Anschluss an ein Warm Up lesen Sie mit Ihren Schülern den Text über Kinder- und Jugendarmut der Kopiervorlage 1. Lassen Sie die Schülerinnen die Stellen und Aussagen im Text markieren, die sie am meisten überraschen. Jeder Schüler hat nun die Möglichkeit, eine der angestrichenen Aussagen oder Fakten an die Tafel zu schreiben. Sprechen Sie mit ihren SchülerInnen anschließend über das Festgehaltene. Gehen Sie nun in eine Diskussionsrunde über, in der die eigenen Erfahrungen der Schüler zum Tragen kommen (siehe Kasten). Diskussionsanregung Sprechen Sie mit Ihren Schülern über die eigenen Erfahrung mit dem Thema „Armut“. Folgende Fragen könnten eine Diskussion einleiten: • Was versteht ihr unter Armut?

• Warum und wann sind Menschen, eurer Meinung nach, arm? • Kennt ihr persönlich Menschen, die von Armut betroffen sind? Wenn nein, woran könnte das liegen?

• Welche Luxusobjekte und nicht-lebensnotwendigen Konsumgüter (Computer, Fernseher, Handy, Schmuck...) nennt ihr euer eigen? Stellt Euch vor, ihr (allein) müsstet auf diese verzichten? Was glaubt ihr, würde passieren? Wie würde sich dies auf euren Alltag und eure Beziehungen zu euren Freunden und Mitmenschen auswirken?

Nach der Gesprächsrunde werden Gruppen mit maximal 6 Personen gebildet. In der Gruppe tauschen sich die SchülerInnen über ihr subjektives Verständnis von Armut aus, das sich aus der Frage nach ihren Bedürfnissen und nach ihrer Zufriedenheit ergibt. Im Zentrum stehen für sie dabei die Fragen: •

Was ist mir selbst wichtig?



Worauf kann ich nicht verzichten?

Nachdem sich alle in der Gruppe geäußert haben, sollen sich die SchülerInnen auf einen Aspekt einigen, der für alle Gruppenmitglieder von Bedeutung ist, auf den keiner verzichten möchte. Nun denkt sich jede Gruppe eine Situation aus, die zu ihrem gemeinsamen Ergebnis passt und baut mit allen Gruppenmitgliedern ein Standbild dazu. Dann präsentieren sich die Gruppen gegenseitig ihre Standbilder. Die Zuschauenden beschreiben jeweils, welche Situation dargestellt wird und interpretieren diese. In einem zweiten Schritt können die Gruppen eine Szene zu ihrem Standbild entwickeln und sie den anderen vorspielen. Nach einem Applaus wird in der Großgruppe über die szenisch dargestellten Sichtweisen auf das Thema Armut gesprochen.

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ARBEITSVORSCHLAG 2c „...und die andren sind im Licht“ – Assoziationen zu Licht und Schatten Licht und Dunkel stehen in der „Dreigroschenoper“ vor allen Dingen synonym für verschiedene soziale Milieus. Doch welche Assoziationen rufen diese beiden Kontraste noch hervor? Welche Gefühle, Stimmungen, Orte und Situationen verbinden wir damit? Materialien: Papier und Stifte, evtl. Kopiervorlage 2 Vorbereitung: keine Dauer: ca. 45 Minuten Ablauf: Zu Beginn steht ein kurzes Warm Up (Seite 18). Dann wird der Raum durch eine sichtbare oder angedeutete Markierung geteilt. Eine Raumhälfte ist die „Licht“-Seite, eine die „Dunkel“- oder „Schatten“Seite. Nun werden in der Großgruppe nach und nach für die beiden Kontraste Licht und Dunkel zu den folgenden Kategorien assoziative Wörter oder Stichpunkte gesammelt: • • • • •

Gefühle Orte Situationen Figuren / Personen Körperempfindungen (z. B. warm, kalt, entspannt, angespannt etc.)

Jedes Wort wird auf ein eigenes A4-Blatt geschrieben. Dann werden die gefundenen Assoziationen auf dem Boden in ihrer entsprechenden Raumhälfte verteilt hingelegt. Es werden Gruppen zu 3 bis 5 Personen gebildet. Jede Gruppe entscheidet sich für eine Raumhälfte und wählt von jeder Kategorie mind. ein Wort aus. Mit Hilfe dieser Wörter soll nun ein Standbild gebaut werden. Dann präsentieren sich die Gruppen gegenseitig ihre Standbilder. Die Zuschauenden beschreiben jeweils welche Situation dargestellt wird und interpretieren diese. In einem zweiten Schritt können die Gruppen eine Szene zu ihrem Standbild entwickeln und sie den anderen vorspielen. Nach einem Applaus wird in der Großgruppe über die Szenen gesprochen. Ein Schwerpunkt des Auswertungsgesprächs sollte die Betrachtung der Szene unter dem vorgegebenen „Licht“- bzw. „Schatten“- Kontrast stehen. Es sollte reflektiert werden, welche positiv oder negativ konnotierten inneren Bilder und Vorstellungen wir mit Licht und Schatten verbinden. Dabei sollte auch versucht werden die Frage zu beantworten, ob Gefühle, Orte etc. überhaupt nach diesen beiden Kontrasten unterscheiden und somit klar voneinander abgegrenzt werden können. Wenn noch Zeit bleibt, kann abschließend das Dreigroschen-Finale III (Songtext auf Kopiervorlage 2) gemeinsam gelesen und unter den eben zusammengetragenen Ergebnissen und Erkenntnissen besprochen und interpretiert werden.

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WARM UPS … 1. DER LEERE PLATZ Alle sitzen im Kreis außer einer Person A. Ein Stuhl ist unbesetzt. Die Person A in der Mitte muss versuchen, sich auf den freien Stuhl zu setzen. Die anderen Spieler müssen dies verhindern, indem sie den freien Platz von links oder rechts besetzen. So wird aber ein neuer Platz frei, der ebenso schnell wieder besetzt werden muss, usw. Schafft es A, sich zu setzen, muss derjenige in die Mitte, der zu langsam reagiert hat. 2. KLATSCHKREIS Alle stehen im Kreis. Ein Klatschzeichen soll möglichst schnell an den Nebenstehenden weitergegeben werden. Dieser wiederum gibt es an den Nächsten im Kreis weiter, usw. Als Schwierigkeitssteigerung kann das Klatschzeichen dann die Richtung wechseln und auch diagonal durch die Mitte weitergegeben werden. Wichtig ist, dass der Rhythmus flüssig bleibt. 3. „DAS HABE ICH NOCH NIE GEMACHT ...“ Alle sitzen im Kreis außer einer Person. Die Person in der Mitte sagt etwas, was sie noch nie gemacht hat. Nun müssen alle diejenigen, die das auch noch nie gemacht haben, aufstehen und mit einer Person ihren Platz tauschen. Derjenige, der keinen Platz bekommen hat, muss nun in die Mitte. 4. „GROMMOLO“ Die SchülerInnen finden sich zu zweit zusammen und unterhalten sich 3 Minuten in einer Phantasiesprache („Grommolo“) über den vorangegangenen Theaterbesuch. Mimik und Gestik dürfen dabei gern übertrieben eingesetzt werden.

COOL DOWNS … 1. AUSSCHÜTTELN, AUSKLOPFEN & AUSSTREICHEN Simpel, aber effektiv: den ganzen Körper durchschütteln und -rütteln, angefangen bei den Füßen über die Beine, Rumpf, Arme, Hände, Schulter, Kopf (vorsichtig!). Als nächstes mögliche Verspannungen über die Füße, Hände und das Gesicht von der Körpermitte weg nach außen ausstreichen und evtl. mit einem Seufzer in die Kreismitte werfen. Dann partnerweise zusammenkommen und sich wechselseitig den Rücken abklopfen und ausstreichen. 2. SCHLUSS! AUS! BASTA! Alle stehen im Kreis und machen gleichzeitig drei Bewegungen zu den nacheinander laut gerufenen Worten: Schluss!: rechten, gestreckten Arm vor dem Körper von links oben nach rechts unten ziehen, Aus!: linken Arm von rechts oben nach links unten ziehen Basta!: beide Arme zeichnen gleichzeitig ein X von oben nach unten

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Kopiervorlage 1 „Denn die Einen sind im Dunkeln...“ – (Kinder-)Armut in Deutschland & Europa Bettler, Huren und Kleinganoven - als ganzer Chor stehen die Mitglieder der sozialen Unterschicht bei Brechts „Dreigroschenoper“ auf der Bühne. Doch ist Armut in einer Wohlstandsgesellschaft wie der unseren tatsächlich ein Thema mit Aktualität, ein Thema, das uns alle angeht? Und ist arm nur, wer wenig (Geld und Gut) hat? Arm ist, so die herrschende Definition der Armut der EU, wer über weniger als 60 % des mittleren NettoEinkommens verfügt. Für eine Alleinerziehende mit zwei Kindern sind das in Deutschland ca. 1440 Euro. 45 % dieser Kleinfamilien fallen unter die Armutsgrenze. Vor allem deren Kinder sind arm, auch wenn man es ihnen nicht ansieht. Armut bemisst sich nach dem, was die anderen haben, wird also subjektiv erlebt. Und Armut ist nicht nur materiell, sie misst sich auch an der Fürsorge, die Kinder bekommen und die Eltern geben. Arme Kinder sind ausgeschlossen vom normalen Lebensstandard; sie werden schon sehr früh aus den Lebensbereichen Bildung, Kultur und Sport ausgegrenzt. Jedes sechste Kind in Deutschland, also mehr als 2,5 Millionen Mädchen und Jungen, leben in Armut, auch wenn diese nicht immer sofort sichtbar ist. Ihnen fehlt es an Geld für Essen, Kleidung und Freizeitaktivitäten. Ursachen von Armut bei Kindern und Jugendlichen Die Gründe für diese Armut sind vielfältig. In der Regel trifft Armut vor allem Kinder, deren Eltern von Dauer- oder Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind. Diese Familien müssen mit Hartz-IV-Sätzen haushalten, die gerade für das Nötigste zum Leben reichen, aber auch nicht für mehr. Auch Kinder und Jugendliche aus kinderreichen Familien mit Migrationshintergrund sind häufiger von Armut bedroht. Hier gibt es oft wenige Verdiener, die wiederum oft wegen mangelnder Sprachkenntnisse im sozialen Niedriglohnsektor verhaftet bleiben. Die Folge davon sind geringere Bildungs- und Berufschancen für die eigenen Kinder. Oft entwickeln sich hieraus "Armutskarrieren", d.h. die fehlenden Bildungschancen führen dazu, dass wichtige Potenziale der Kinder und Jugendlichen verloren gehen. So haben sie es schwerer, einen adäquaten Schulabschluss zu machen und einen Beruf zu erlernen, der ihnen ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben ermöglicht und mit dem sie für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen können, geschweige denn eine Familie ernähren können. Haben oder Sein? Neben der faktisch belegbaren materiellen Armut gibt es natürlich eine subjektive Ebene: Denn jeder Mensch hat andere Maßstäbe bezüglich Armut und findet eigene Wege zu Glück und Zufriedenheit. Materielle Armut heißt, wenig zu besitzen, trotzdem kann man sehr reich an Erfahrungen, Erlebnissen oder schönen Momenten sein. Wenn man etwas in seinem Leben vermisst, fühlt man sich arm. Das müssen aber nicht unbedingt materielle Dinge sein. Manche Menschen wählen bewusst eine einfache, ärmliche Existenz und verzichten auf materiellen Besitz: Nur so fühlen sie sich frei, beschenkt und glücklich. Armut und Reichtum sind also nicht unbedingt Gegensätze. Dennoch gehören sie zusammen, denn ohne das eine gibt es auch nicht das andere.

Quellen:





http://www.kinder-armut.de/armut/kinderarmut-definition.html Hast du genug? Unterrichtsmaterialien zum Thema Armut in Deutschland für den Einsatz in der Sekundarstufe I und II (Hrsg.: Aktion Mensch e.V.)

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Kopiervorlage 2

Dreigroschen-Finale III Songtext Und so kommt zum guten Ende Alles unter einen Hut. Ist das nöt'ge Geld vorhanden Ist das Ende meistens gut. Dass nur er im Trüben fische Hat der Hinz den Kunz bedroht. Doch zum Schluss vereint am Tische Essen sie des Armen Brot. Und die einen sind im Dunkeln und die andren sind im Licht, doch man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht. Doch man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.

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Kopiervorlage 3 Geschlechtsidentität Entwickelt ein Individuum ein Gefühl, wie es sich in Bezug zu seiner Geschlechtsklasse verhält und wie es hinsichtlich deren Idealvorstellungen beurteilt wird, so spricht man an dieser Stelle von einer „Geschlechtsidentität“. Geschlechterrollen und –stereotype In allen Kulturen gilt das Geschlecht als wichtige Kategorie für die soziale Differenzierung, mit ihr verbindet sich eine Vielzahl geschlechtsbezogener Erwartungen und Vorschriften. Kinder lernen schon sehr früh, welche Merkmale in ihrer Kultur als „männlich“ und welche als „weiblich“ angesehen werden, bzw. welches Verhalten vor diesem Hintergrund als abweichend gilt. Lawrence Kohlberg hat darauf hingewiesen, dass Kinder einen aktiven Beitrag bei der Interpretation ihrer Geschlechterrolle leisten, denn sobald sie die Unveränderbarkeit ihrer Geschlechtszugehörigkeit erkannt haben, streben sie danach, sich ihrem Geschlecht entsprechend zu verhalten. Während Kinder im jüngeren und mittleren Alter aufgrund ihres Entwicklungsstands recht starr Geschlechterstereotypen folgen, setzen sich Jugendliche jedoch schon eher kritischer mit solchen Normen auseinander. Dazu einige Fakten in Kurzform: •

Unter Stereotyp versteht man vereinfachte, gesellschaftlich verbreitete Bilder, die die Wahrnehmung der Welt beherrschen. Das bewirkt, dass man eine Meinung über Dinge bereits hat, ohne eigene Erfahrungen damit gemacht zu haben. Auf den Menschen bezogen bedeutet das, von Gruppen oder Gesellschaften geteilte Vorstellungen über andere Personen aufzunehmen. Geschlechtsstereotype sind also Eigenschaften, die Frauen und Männern aufgrund ihres Geschlechts zugeschrieben werden.



Geschlechtsstereotype erwerben Kinder bereits im 2. Lebensjahr. Ein rigides Geschlechtsstereotyp wird (z.B. Bügeln tun nur Frauen) nach der Zeit durch ein flexibles Geschlechtsstereotyp (z.B. Bügeln tun meistens Frauen) ersetzt.



Geschlechtsstereotype der jeweiligen Kulturen beeinflussen spätestens nach der Geburt eines Kindes das psychologische Geschlecht wesentlich. Dadurch ist es möglich, dass vorhandene Geschlechtsunterschiede verstärkt, vermindert oder überhaupt erst erzeugt werden.

Einige psychologische Theorien zur Entstehung der Geschlechtsunterschiede Es gibt verschiedene psychologische Theorieansätze, die zu erklären versuchen, warum Jungen und Mädchen schon im Kindergarten unterschiedliche Verhaltensrepertoires, Interessen und Beschäftigungsvorlieben zu haben scheinen. Ein psychologischer Ansatz vertritt die Meinung, dass Jungen und Mädchen schon ab dem Kleinkindalter für Verhalten, dass ihrem Geschlecht angemessen erscheint, belohnt werden, was durch Lob, Anerkennung und direkte Belohnung erfolgt, während ihrem Geschlecht unangemessene Verhaltensweisen nicht verstärkt, sondern sogar manchmal sogar bestraft, missbilligt oder einfach ignoriert werden. Diese sogenannte Bekräftigungstheorie basiert also darauf, dass bestimmte dem Geschlecht entsprechende Verhaltensstereotype existieren und Eltern ihre Kinder diesen Stereotypen gemäß erziehen, d.h., dass Eltern ihre Kinder unterschiedlich behandeln. Die Imitationstheorie vertritt dagegen den Standpunkt, dass Kinder geschlechtstypisches Verhalten durch die Beobachtung gleichgeschlechtlicher Modelle bzw. die Nachahmung und Übernahme deren geschlechtsangemessenen Verhaltens erwerben. Eine weitere Theorie, die Identifikationstheorie, nimmt an, dass durch die Beziehung zu den wichtigsten Bezugspersonen (vor allem den Eltern) geschlechtsspezifisches Verhalten gefördert bzw. erlernt wird. Das heißt, dass sich also Mädchen mit der Mutter und Jungen mit dem Vater identifizieren, und auch jeweils 21

deren Einstellungen, Werthaltungen und äußere Verhaltensweisen übernehmen. In der psychoanalytischen Theorie der Geschlechtsrollenentwicklung hingegen ist der anatomische Unterschied zwischen Jungen und Mädchen ausschlaggebend. Während Knaben einen Penis besitzen und Mädchen nicht, sodass sie sich als verstümmelt und minderwertig empfinden und das andere Geschlecht deshalb beneiden. Mädchen fühlen sich daher angeblich unbewusst zum Vater hingezogen, um ihren kastrierten Zustand zu beenden, während Jungen sich unbewusst zur Mutter hingezogen fühlen und den Vater als Rivalen erleben. Zu diesen psychologischen Theorien kommen biologische, kulturelle und soziologische Einflussfaktoren hinzu, die eine zusätzliche Rolle bei der Herausbildung geschlechtstypischen Verhaltens spielen. Die Mehrzahl der aktuell vorliegenden wissenschaftlichen Befunde legt jedenfalls nahe, dass etwa der Feinaufbau des Gehirns schon sehr früh von Sexualhormonen beeinflusst wird, so dass die Umwelt von Geburt an und auch schon davor bei Mädchen und Jungen auf schon grundlegend unterschiedlich verschaltete Gehirne einwirkt, sodass es später nahezu unmöglich wird, in der Entwicklung Erfahrungseinflüsse getrennt von den körperlichen Vorraussetzungen zu erfassen. Aus: Lexikon für Psychologie und Pädagogik: http://lexikon.stangl.eu/1021/geschlechtsstereotypegeschlechtsrollenstereotype/

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QUELLEN UND LITERATURVERZEICHNIS



Manfred Brauneck: Theater im 20. Jahrhundert. Programmschriften, Stilperioden, Reformmodelle. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 1982



Materialsammlung und Programmheft zur Inszenierung des Hessischen Landestheaters Marburg



Marburger Express Magazin, Ausgabe 35/12



Homepage des Vereins für soziales Leben e.V.: Kinder-Armut.de



Hast du genug? Unterrichtsmaterialien zum Thema Armut in Deutschland für den Einsatz in der Sekundarstufe I und II (Hrsg.: Aktion Mensch e.V.)

• •

Lexikon für Psychologie und Pädagogik: http://lexikon.stangl.eu/1021/geschlechtsstereotype-

geschlechtsrollenstereotype/ Freie Enzyklopädie Wikipedia

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IMPRESSUM Herausgeber: Hessisches Landestheater Marburg Geschäftsführender Intendant: Matthias Faltz (V.i.S.d.P.) Aufsichtsratsvorsitzender: Albert Zetzsche Redaktion und Layout: Nina Eichhorn Fotos: Ramon Haindl Karten unter 06421.25608 oder unter [email protected] Schulbuchungen unter 06421.990237 (Jürgen Sachs) oder unter [email protected] Homepage: www.theater-marburg.de

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