janne teller spielzeit 2012/13 theater vorpommern - Alexander-von ...

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24. Jan. 2013 ... Janne Teller wurde 1964 in Kopenhagen geboren. Ihre Mutter stammt .... „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ von Janne Teller ist kein „schönes“ ...
theater vorpommern

janne teller

nichts spielzeit 2012/13

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Es interessiert mich nicht, das aufzuschreiben, was ich schon erlebt habe. Weil ich es schon erlebt habe. Wenn man tiefer gehen will, darf man keine wahren Geschichten schreiben. Ich schreibe, weil ich Fragen habe. Janne Teller

Janne Teller

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Janne Teller wurde 1964 in Kopenhagen geboren. Ihre Mutter stammt aus Österreich und ihr Großvater väterlicherseits aus Norddeutschland. Nach Abschluss ihres Jurastudiums arbeitete sie für internationale ­Organisationen wie die EU und die UNO, unter anderem in New York und in ­verschiedenen Krisengebieten der Welt. Dort, wo sie eingesetzt war, hat sie Furchtbares gesehen. Hunger, Folter, Völkermord. In Mosambik gab es einen Punkt, an dem es nicht mehr auszuhalten war. Doch sie erlebte auch Wunderbares: Menschen, die sich halfen, die trotz aller Schwierigkeiten kämpften. Immer begleitete sie die Literatur. So lernte sie in Krisensituationen englische Lyrik auswendig, um daraus Kraft zu schöpfen; ihre erste Erzählung hatte sie bereits mit 14 Jahren veröffentlicht. Seit 1994 widmet sie sich ausschließlich dem Schreiben. Die Jugend­bücher „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ (2000) und „Krieg. Stell dir vor, er wäre hier“ (2004) machten sie in Europa bekannt. „Nichts“ erhielt 2001 den Dänischen Kinderbuchpreis. Anfangs gab es viel Widerstand gegen das Buch, so war es sogar vom dänischen Schulamt in Viborg verboten – an Schulen in Westnorwegen ist es bis heute nicht erlaubt. Mittlerweile ist in Dänemark die 14. Auflage erschienen, und „Nichts“ ist eines der am häufigsten verwendeten Bücher in den dänischen Abiturprüfungen. Der Roman ist in 13 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Die Jugendlichen lieben ihn, und es drängt sich die Vermutung auf, dass eher die Erwachsenen mit Janne Tellers Fragen überfordert sind. „Es ist einfach für Kinder zu schreiben. Sie haben nicht so viel Angst.“ Die Kinder finden sich nicht ab mit den Wahrheiten, die Pierre Anthon verkündet. Sie kämpfen. Sie wehren sich. Das können Erwachsene auch. Deshalb schreibt Janne Teller nicht nur für Kinder und Jugendliche. So entstand u. a. der Roman „Komm“ (2008). Immer wieder stellt sie Fragen, die das Bewusstsein schärfen für unser Leben, das keine Tabus mehr kennt und viele Menschen auf der Strecke bleiben lässt. „Es ist doch verrückt, was wir da machen!“

Lea Sophie

Eileen

Sophia

Sarah Natalie

Alma Lea

Lilli

Marlene Nele

Marie

Shannon Ayasakh

Otto Lukas

Amir Malte

Oliver

Alexander

Leonhard

Emma

David

Tabea

Joshua

Ole

Jacques

Die Jugendlichen

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nichts Was im Leben wichtig ist.

Ein Schul-Theater-Projekt nach dem Roman von Janne Teller Premiere in Greifswald am 24. Januar 2013 Premiere in Stralsund am 7. Mai 2013 Eine Kooperation zwischen: Theater Vorpommern Alexander-vonHumboldt-Gymnasium Greifswald Montessori-Schule Greifswald Aufführungsrechte: Rowohlt Theaterverlag

Es wird darauf hingewiesen, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen durch jede Art elektronischer Geräte untersagt sind. Zuwiderhandlungen sind nach dem Urhebergesetz strafbar.

Die Jugendlichen Arne Amir Azazi Jacques Berry Sophia Böhmann Malte Bruns Nele Elftmann Ayasakh Enkhgerel Natalie Felkl Ole Haase Alma Haustein Marie Hennicke Joshua Hoffmann Lukas Hüneke Shannon Christin Krabbe Lilli Marlene Lück Otto Marlow Emma Meyer Leonhard Otto Lea Sophie Reininger David Salewski Eileen Shea Tabea Seefeldt Alexander Teske Oliver Schmidtke Marlene Wegener Lea Welk Sarah Winkelmann

Es lässt sich nicht erklären, aber es war geradeso, als hätte uns Pierre Anthon dazu gebracht, es zu sehen. Als hätte uns das Nichts überholt und wäre zuerst angekommen. Es war plötzlich so, als wäre die Schule das Leben, und so sollte das Leben doch nicht aussehen. Die Erwachsenen

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Nils Kleemann Projekt leiten, organisieren, Rechnungen bezahlen, für alle da sein Katja Klemt Ideen haben, Stück und Ausstattung entwickeln, inszenieren, proben Anja Nicolaus Stück entwickeln, Ideen reflektieren und weiterdenken, Texte schreiben, proben, Schuleinführungen

Jana Nedorost Awareness üben, proben, mitdenken, aufschreiben, organisieren Jakob Weinert Fertigkeiten trainieren, proben, mitdenken, diskutieren Sabine Jepp Michael Schulz Klassenleiter, organisieren, aufpassen, Eltern informieren, Rücken freihalten Karin Pöthkow Buch besprochen und Ideen der Schüler diskutiert

Jan Holten Theaterpädagoge, Tipps geben Patrick Ernst Bühne und Licht Jens-Uwe Gut Bühnenmeister Susanne Günther Beleuchtungsmeisterin Olaf Matthes Ton und Video Jürgen Meier Inspizient

Es lässt sich nicht erklären, aber es war geradeso, als hätte uns Pierre Anthon dazu gebracht, es zu sehen. Als hätte uns das Nichts überholt und wäre zuerst angekommen. Es war plötzlich so, als wäre die Schule das Leben, und so sollte das Leben doch nicht aussehen.

/ Tabea / Warum denkt ihr, dass eure Probleme wichtiger sind als unsere? / Leonhard / Warum denken Erwachsene immer, dass sie recht haben? Tabea

Leonhard

Otto

/ Otto / Was hat für euch Bedeutung? Buchvorstellung im Deutschunterricht der ­damaligen Klasse 8R – gespannte Aufmerksamkeit, interessierte ­Fragen, der Wunsch, diesen ungewöhnlichen Text gemeinsam zu lesen und zu diskutieren, so fing alles an. „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ von Janne T ­ eller ist kein „­ schönes“ Buch, das stellten alle sehr schnell fest, und es zwingt seine Leser, sich sehr intensiv mit dem Inhalt auseinanderzusetzen. Was hat für uns im Leben Bedeutung? Dieses war nicht nur die Ausgangsfrage, ­sondern sie zog sich wie ein roter Faden durch die e ­ inzelnen ­Unterrichtsstunden. Es wurden viele Überlegungen zum Titel, T ­ itelbild und dem Klappen­text angestellt. Schon der ­Prolog „Nichts bedeutet irgendetwas, das weiß ich seit Langem. Deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun“ führte zu kontroversen ­Diskussionen. Der Symbol­charakter der Gegenstände auf dem „Berg aus Bedeutung“ wurde erkannt, Fragen zum Gruppenverhalten aufgeworfen und Über­legungen angestellt, wie man Gewalt entgegentreten sollte. Auch die ­philosophische Betrachtung des Wortes „Nichts“ bot i­ nteressante Gesprächs­ansätze. „Nihilismus“ ist ein Begriff, der hierbei erarbeitet wurde. Parallelen zu anderen literarischen ­Werken, wie „Sophies Welt“, taten sich auf und wir „begegneten“ Ideen von Jean-Paul ­Sartre. Vieles könnte man noch anführen. Auf Schaubildern, in Gruppenarbeiten, aber vor allem in den Gesprächsrunden fanden wir eigene Antworten auf unsere Fragen. Einige blieben auch offen. Deshalb wendeten wir uns mit einem Brief an die Autorin. Ob sie diesen beantworten wird?

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So fing alles an! Dass uns dieses Buch auch im Theater­ projekt intensiv begleiten würde, hätte anfänglich wohl niemand erwartet. Aber vielleicht erhalten wir hier weitere Antworten auf die Frage, was im Leben von Bedeutung ist. Karin Pöthkow

Der Gedanke war nur in dem Augenblick wahr, als er gedacht wurde.

/ Lea Sophie / Woher sollen wir wissen, was aus uns werden soll oder welcher Lebensweg der r­ ichtige ist? / Jacques / Hat man als Erwachsener noch Spaß?

Lea Sophie

Eine der eindrucksvollsten Erfahrungen im Leben ist sicher die, dass die Dinge selten so laufen, wie man sie sich vorgestellt hat. Das Unerwartete ist Teil des Lebens und zwingt uns oft, die haltbietenden Pläne zu überdenken, zu verwerfen oder neu zu schmieden. Das macht Angst, und das macht Mut. So ist es auch mit unserer Inszenierung nach Janne Tellers Jugendroman „Nichts. Was im Leben wichtig ist”.

Jacques

Aber fangen wir von vorne an ... Seit es das Schul-Theater-Projekt gibt, hat es uns ­ berzeugt und mit den vielfältigen Ergebnissen beeinü druckt. In den vorangegangenen Jahren waren wir in ganz verschiedener Form schon daran beteiligt, doch das Angebot, es auch einmal selbst zu leiten, war für uns eines ­dieser unerwarteten Dinge. Die Entscheidung, das Angebot anzunehmen, fiel bei mir (Katja) mit dem Lesen des Buches. Ein Stoff, den man unbedingt machen müsse. Ganz anders bei mir (Anja). Mit dem Buch hätte ich die eigentlich schon getroffene Entscheidung fast w ­ ieder ­hingeworfen. Die kontroversen Seiten dieses Buches begleiteten uns von Beginn an. Die wertvolle Gemein­samkeit war wohl die schon beim ersten Lesen in uns beiden erweckte Ahnung der kraftvollen B ­ ilder dieses Romans. Bis zum Ende blieb es das Ziel ­dieser Reise, diese Ahnung zu verwirklichen. Wie es genau aus­ sehen würde, wussten wir bis zur Premiere nicht. Aber wir ­wussten immer, dass wir in die gleiche Richtung ­liefen. Es galt, die emotionale Tiefe und philosophische Weite dieses Romans auf die Bühne zu bringen. Wie aber übersetzt man Janne ­Tellers sprachliche Kunst, die mit geschrie­benen Worten Dimensionen entstehen lässt, auf die Bühne? Die ­Sprache ist das fantastische Mittel des

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/ Sophia / Warum glaubt ihr, dass ihr alles besser wisst?

Sophia

Romans, das bei diesem Werk als alleiniges Mittel auf der Bühne nur verlieren kann. Um Janne Tellers Ton zu treffen, bedarf es Bilder, die nur dem T ­ heater ­gehören. Denn warum inszeniert man einen Roman, wenn das Theater nichts eigenes hinzuzufügen hat? In l­ angen Gesprächen, zu denen später auch Jana und Jakob d ­ azugehörten, ­entstanden Ideen, entstanden Bilder. In Improvisationen erprobten wir gemeinsam, welche M ­ ittel erlernbar und umsetzbar sind, und wir erforschten deren Bühnen­ wirkung und Erzählpotenzial. Eine Reise entlang einer unerklärbaren Ahnung birgt natürlich ein Risiko, das die Jugendlichen mit uns eingegangen sind. Ohne ihr Vertrauen wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Dieses

Geschenk zu bewahren war die große Herausforderung an uns. Angst und Mut begleiteten uns alle gemeinsam durch eine spannenden Probenzeit mit vielen Höhen und wenigen Tiefen. Immer wieder begeisterte es uns zu erleben, wie schnell die Jugend­lichen die nötigen Fähigkeiten erwarben und wie weit wir mit ihnen gehen konnten. Schließlich erlernten sie viele Theatermittel, die ihnen zuvor noch nicht begegnet waren. Es war großartig zu erleben, wie jeder Einzelne sich ent­wickelt und zu der entstandenen Inszenierung beigetragen hat. Ein fantastisches Erlebnis und ein tolles Projekt, das man mit nichts ersetzen kann.

In diesem Jahr konnte der Januar gar nicht lang genug sein. Januar. Januar. / Alma / Was ist im Leben wirklich wichtig? Januar. / Alexander / Warum wollen Erwachsene immer Januar. recht haben? / Lea / Nehmt ihr uns überhaupt ernst, wenn ihr mit uns redet?

Katja Klemt und Anja Nicolaus

Alma

Alexander

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Lea

Schon Anfang der achten Klasse wurde uns das Schul-Theater-Projekt vorgestellt, und in einer Abstimmung entschied sich die große Mehrheit­unserer Klasse dafür. Die Suche nach einem Stück begann. Als wir im Deutsch­ unterricht den Jugendroman „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ von Janne Teller behandelten, kamen wir auf die Idee, ihn auch im Theaterprojekt umzusetzen. Jeder mochte das Thema und den Hintergrund des Buches, und noch vor den Sommerferien besuchten uns Katja und Anja in der Schule. Wir sprachen über unsere Vorstellungen und begannen mit ersten Übungen. Es dauerte nicht lange, bis unser Klassenraum zu einer kleinen Bühne wurde. Anfangs hatten wir alle große Schwierigkeiten, aus uns herauszukommen und über unsere Grenzen zu gehen. Doch spätestens ab der Probenfahrt nach Turow im September hatte auch der Letzte Vertrauen in unser Leitungsteam, sodass die Barrieren kleiner wurden. In dieser Woche merkten wir, dass es überhaupt nicht peinlich ist, vor anderen zu spielen. Wir haben dort erste Elemente unseres Stückes kennengelernt und erarbeitet. Im Dezember ging es dann endlich richtig los. Wir arbeiteten von morgens bis abends an unserem Stück, drei Wochen im Maritimen Jugenddorf in Wieck von 9.00 bis 18.30 Uhr und eine im Theater bis in den späten Abend. Wir hatten unterschiedliche Trainingseinheiten, wie zum Beispiel Pantomimeoder Stimmtraining. Besonders spannend waren Übungen, in denen man den anderen vertrauen musste, auch Klassen­kameraden, mit denen wir in der Schule nicht viel zu tun hatten, und auch unseren Klassenleitern, Frau Jepp

und Herr Schulz. Das war ungewohnt, aber genau diese Übungen haben uns im Klassenzusammenhalt gestärkt. Immer wieder machten wir uns Gedanken über das Endresultat unserer ­­ Proben. Keiner wusste so richtig, in ­welche Richtung es gehen würde, und wir hatten anfangs oft das Gefühl, nicht in die Entscheidungen mit ­einbezogen zu werden. Manchmal war es schwer, das auszuhalten. Doch wir m ­ erkten bald, dass Katja und Anja gar kein f­ertiges Stück im Kopf hatten und alles mit uns entwickeln und ­ausprobieren wollten. Das ist wahrscheinlich das Besondere an unserem Stück. Was sie ­hatten, waren ihre Ideen. Viele Bilder ­entstanden aus Übungen, die wir vorher gemacht hatten, oder aus einfachen Improvisationen. So gesehen konnten wir mit unseren Spielideen letztendlich ganz viel beitragen.

Ich weiß nicht, wofür es gut sein soll, all die Erkenntnisse vor sich herzutragen, die andere gehabt haben. Das raubt jedem den Mut, der noch nicht erwachsen ist und selbst etwas herausfinden will.

/ Ayasakh / Warum kämpft ihr nicht für eure Träume?

Ob es beim Publikum gut ankommen würde, blieb dennoch eine große Un­sicherheit, die uns manchmal ­Sorgen und das Lampenfieber noch größer machte. Auf jeden Fall war Theater spielen eine ganz neue Erfahrung. Wir ahnten vorher nicht, wie viel K ­ onzentration es erfordert, und dass es gar nicht wie Freizeit ist. Diese Wochen haben unser Selbstvertrauen und Verantwortungsbewusstsein gestärkt. Schon ­verrückt, dass eine ganz normale Klasse zu Schauspielern wird.

/ Malte / Warum haben Erwachsene immer recht?

Wir hoffen, dass unser ungewöhnliches Stück Ihnen gefällt!

/ Ole / Bist du mit deinem Leben glücklich?

Alma Haustein

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Oliver

Nele

Eileen

David Marlene

Lilli

Für die Erwachsenen stellt sich bei solch einer Arbeit meist die Frage nach dem Wie, dem Wie-Lang und dem Wie-Viel. Ich möchte lieber an das Weshalb denken und damit sagen, dass es andere Motivationen geben darf als die finanziellen und die qualifikatorischen – und das glaubt mir natürlich kaum jemand. Warum macht man so eine Arbeit sonst? Warum sich in den Regen stellen, warum sich durch einen Sturm kämpfen, warum den steinigsten aller Wege nehmen? Aus dem Grund, dass Anstrengung, Mühe und Aufwand die Anlage des Wunderbaren in sich tragen. Wenn du erkennst, dass der Regen, in dem du stehst, dir nur ein Lied trommeln will, dass der Sturm dir helfen möchte zu fliegen und dass alle Steine auf deinem Weg ein Monument werden wollen, dann darf das als Motivation reichen. Jakob Weinert

/ Lilli / Wieso helft ihr uns nicht? / Nele / Gibt es überhaupt Freiheit? / Eileen / Warum denkt ihr, dass ihr alles besser könnt?

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Fürchtet ihr euch etwa vor dem Nichts? / Marlene / Nehmt ihr euch überhaupt Zeit, Spaß zu haben? / Oliver / Was hat für euch Bedeutung? / David / Warum macht ihr uns Vorwürfe für Dinge, die ihr früher selbst gemacht habt?

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Verrücktes und krasses Buch. So etwas hatte ich nicht erwartet. Junge Menschen, die, um einen zu überzeugen, weil sie Angst haben, es könne wahr sein, was er sagt, Dinge tun, die über das bloße Spielen, Necken, eins Aus­wischen und Mutproben hinausgehen. Mir war klar, wenn es jemand schaffen kann, DAS umzusetzen, ist es Katja, die verrückt genug ist, sich auf eine freischwebende Arbeitsmethode mit einem gepolsterten Grund an Ideen und Bildern im Kopf einzulassen. Das r­ ichtige Team *The Masters of Chaos* ist zur Stelle. Tag und Nacht. Bereit, alles umzuwerfen, weil sich neue Perspektiven spontan ergeben. Und die Kids? Wie soll das mit einer Klasse aus 26 lernenden jungen Menschen gehen? Na, hervorragend. Sie haben Feuer gefangen und waren von Anfang an bereit, sich dem Thema „Was tue ich alles für die Bedeutung in meiner Umgebung?“ zu stellen. ­Gruppenzwang, Idiotie: Warum tut da keiner was? Ich bin sehr froh, zu erfahren, wie aus Widerwillen Freude und Engagement wird. Ich finde es eine groß­ artige Leistung, dass sich die SchülerInnen gegenseitig mitziehen, Methoden und Fortbewegungsmöglichkeiten ausprobieren, die sie aus ihrem Alltag nicht kennen. Und ich? Ich lerne auch ’ne Menge über Gruppen, was am frühen Morgen als ­Trainingseinheit nicht funktioniert, wie ich mir Aufmerksamkeit verschaffe, wenn alles am Brodeln und Austauschen ist. Und ich bin froh, dass wir so viel experimentieren. „NICHTS“ IST EIN ERLEBNIS !! Und das hat Bedeutung. Jana Nedorost

Als Klassenlehrer einer 9. Klasse ist ein Schuljahr immer eine spannende Reise durch gemeinsame Höhen und Tiefen und manchmal fragt man sich, wo diese hingeht. Da wird der Klassenraum nicht aufgeräumt oder es kümmern sich nur wenige um die bevorstehenden Termine, Hausaufgaben werden vergessen und Klassenarbeiten nicht ernst genommen – Schule scheint einfach nicht das Wichtigste im Leben. Andererseits überrascht ein aufwendig vorbereiteter Vortrag, werden Vokabeln fleißig gelernt und bei der Planung von verschiedensten Aktivitäten wird ideenreich und freiwillig geholfen. Das ist der normale Alltag von Schule, der bewältigt werden muss, könnte man meinen. Und dann kommt noch eine ganz besondere Herausforderung dazu, das bevorstehende Theaterprojekt, das alle 9. reform­ pädagogischen Klassen am Alexandervon-Humboldt-Gymnasium durchführen. Von den drei Theaterprojekten der zurückliegenden Schuljahre kennen alle nur die Ergebnisse: begeisternde Aufführungen im ausverkauften Theater, Schülerinnen und Schüler im Rampenlicht, auf der großen Bühne. Oft wurden die Blicke nachdenklich, wenn davon erzählt wurde, dass davor zwar keine Schule ist, die Probenzeit aber von 9 bis 19.00 Uhr geht, dass dann keine Hausaufgaben zu erledigen sind, aber Aufgaben zum ­Theaterstück jeden Tag entstehen werden, dass keine Leistungskontrollen stattfinden, Texte und Situationen aber einstudiert werden müssen, dass nach einem solchen Tag auch mal die Kraft zu Ende sein wird, aber trotzdem sonnabends Probenzeit ist. Warum dann eigentlich Theater statt Schule? Eine Antwort auf diese Frage lautet: so ein Theaterprojekt ist Schule für das Leben und ein Meilenstein auf dem Weg

ins (Erwachsenen-)Leben. Wenn die Pflichten für den Klassenraum nun auf einmal Pflichten für ein ­großes Projekt werden, von dem jeder ein erkennbarer Teil sein möchte, dann wird deren Sinn deutlicher. Wenn in den Proben die Frage nach Bedeutung im Leben gestellt wird, die so oft bei Erwachsenen nicht mehr klar zu sehen ist, weil diese nur noch hektisch durch den Tag eilen, wenn Verantwortung zeigen auf einmal nicht nur im Klassenraum geübt, sondern in den Probenzeiten umgesetzt wird, wenn die Klasse 9R erlebt, wie mitunter die­ jenigen, die im Unterricht oft wenig Bestätigung finden, mit tollen Ideen über sich hinauswachsen und diese schauspielerisch umsetzen können. Uns war immer klar, dass dieses Projekt für uns und die Klasse eine große Herausforderung sein wird, doch dass hier auch ­Freiräume entstehen, die Schule so ­niemals ­bieten kann. Darüber hinaus erleben wir dabei gerade eine intensive Zeit des ­besseren Kennenlernens der ­Schüler untereinan­der, der Schüler und ­Lehrer, der „­Theatermacher“ und uns – ­auch deshalb: Theater in der Schule! Sabine Jepp und Michael Schulz

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Aus uns sollte etwas werden. Etwas werden bedeutete jemand werden, aber das wurde nicht laut gesagt. Es wurde auch nicht leise gesagt. Das lag einfach in der Luft oder in der Zeit oder im Zaun rings um die Schule oder in unseren Kopfkissen und Kuscheltieren.

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Klassentheaterprojekte in dieser Form sind einmalig in Deutschland. 2012 war das Projekt Preisträger von „Kinder zum Olymp“. Auch ich war mir 2007 nicht sicher: Pubertierende Schüler möchten sich anstrengen und an verbindlichen Zielen orientieren, in einen gemeinsamen steinigen Prozess einsteigen, der erst nach mehreren Monaten abgeschlossen ist? „Wollt ihr euch als Klasse der Herausforderung stellen, gemeinsam auf einer Bühne zu stehen?“ Erstmals habe ich diese Frage 2008 der 8. Klasse mit reformpädagogischem Profil am Humboldt-Gymnasium gestellt. Vor mir saßen Gesichter, die ich noch aus dem sechsten Schuljahr kannte. Eine kontroverse Diskussion leitete einen Prozess ein, der mir deutlich machte, was Schule für Schüler und Erwachsene bedeuten kann. Meine Aufgaben waren schon vorher klar: 14- bis 16-jährige Schüler sollen sich in einer Phase des persönlichen Umbruchs ernst genommen und herausgefordert fühlen. Dazu braucht es im Sinne Maria Montessoris eine wirklich gut „vorbereitete Umgebung“! Ich begann den Rahmen zu bauen, der bis heute steht.

/ Natalie / Woher wissen Erwachsene, wie das Leben funktioniert?

/ Joshua / Wie fühlt es sich an, das Großwerden?

1.) Eine Klasse von 24 bis 30 Schülern mit und ohne Theatererfahrung steigt im Mai des 8. Schuljahres in das Projekt ein. Acht Monate später stehen sie gemeinsam auf der Bühne. 2.) Die Erwachsenen, also Klassenund/oder Fachlehrer ... Ja, aber das reicht eben nicht, wenn sich Jugend­ liche in wirkliche Theater­arbeit begeben sollen, die eine intensive Auseinander­ setzung mit dem Stoff, den m ­ öglichen Ausdrucksformen, den ­einzelnen Positionen der Beteilig­ten und der gemeinsamen Umsetzung ­bedingen soll. Es braucht Theatermenschen, Macher, ­Persönlichkeiten, die etwas einbringen und zu bieten haben. Dies waren beispielsweise die ­Kinder- und Jugendbuchautorin Antonia ­Michaelis (20082010), die R ­ egisseurin Henriette Sehmsdorf (2008-2012), die Theaterpädagogin Barbara ­Gottwald (20092011), die Dramaturgin Anja ­Nicolaus (2009-2013), der ­Choreograph G ­ regory Le Blanc (2011-2012), der M ­ usiker Georg Fischer (2010-2012) und ihre Teams. 3.) Eine Bühne ... 2009 ­schlossen die Montessori-Schule (Aktion ­Sonnenschein M-V e.V.), das Humboldt-Gym­ nasium und das Theater Vorpommern

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eine Kooperationsvereinbarung ab, ­welche die Verantwortlich­keiten festlegte. Die Schulen sorgen s ­ either für die profes­sionelle ­Unterstützung durch einen Regisseur, eine R ­ egieassistentin bzw. weitere Mitstreiter, die 6 bis 10 Monate mit der Klasse arbeiten. Das Humboldt-Gymnasium stellt sicher, dass in der letzten Phase nur noch ­Theaterarbeit im Mittelpunkt steht und der reguläre Stundenplan für vier Wochen aufgelöst wird. Begleitet ­werden die Projekte vom ­Theater Vorpommern, das die Große Bühne zur ­Verfügung stellt. Mit den Premieren von „­Finnland oder Noras Tag“ (2010), „kopflos“ (2011), „Der Jasager“ (2012) und „NICHTS“ (2013) zeig(t)en die S ­ chüler auf der Bühne die Ergebnisse von Prozessen, die allen Beteiligten Grenz­erfahrungen vermittelten. Schule sollte Lebens- und Erfahrungsraum für Jugendliche und Erwachsene sein. Bewährte Strukturen in den vier Projekten gaben immer wieder Freiraum für veränderte Herangehensweisen. Spannende Inszenierungen sind entstanden. „NICHTS“ ist das aktuelle Ergebnis der Klasse 9 R. Nils Kleemann

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/ Marie / Warum denkt ihr, dass ihr uns verstehen könnt?

/ Shannon / Ist Erwachsensein schwer?

/ Emma / Kann ich immer aufhören?

„Wir fahren für ,Nichts‘ nach Hamburg“

/ Lukas / Was seht ihr in uns?

Janne Teller

/ Amir / Habt ihr im Alter Angst davor zu sterben?

was im leben wichtig ist

/ Sarah / Haben Erwachsene oft das Gefühl, an einem Ort zu sein, an dem sie nicht sein wollen?

nichts Wir danken für die Unterstützung

Maritimes Jugenddorf Wieck GmbH Greifswald

Lukas Aktion Sonnenschein

Amir Gemeinschaftsprojekt des Humboldt-Gymnasiums, der Montessori-Schule und des Theaters Vorpommern nach dem gleichnamigen Roman von Janne Teller

Premiere: 24.1.2013 Greifswald Premiere: 7.5.2013 Stralsund Nordischer Klang: 8.5.2013 Theatertreffen: 13. bis 16.6.2013

24h-Kartenhotline Tel. 0 38 31 / 26 46 6 www.theater-vorpommern.de

… ist ein Satz, für den man schon einmal ungläubige Blicke ernten kann. Zumindest wenn die Leute nicht wissen, dass „Nichts“ unser Theaterstück ist. In Hamburg besuchten wir den Theater-Grafiker, um das Plakat für unser Stück zu entwerfen. Schon während der Fahrt überlegten wir gemeinsam, wie man denn nichts auf ein Plakat bringen könnte. Aber die Ideen blieben noch recht unkonkret, sodass wir am Abend in zahlreichen Kunstbüchern stöberten, um Inspirationen zu sammeln. Zwei Ideen blieben hängen. Zum einen war es eine Tür, die in der Leere steht und ins Nichts führt, zum anderen ein Gesicht ohne Konturen, das verweht, da die Jugendlichen in Janne Tellers Roman ihr Gesicht verlieren. Dazu ging uns ein Bild nicht aus dem Kopf, von dem wir gar nicht genau sagen können, weshalb es uns faszinierte. Es zeigte einen Raum, der ganz und gar in Papier eingewickelt war.
Mit diesen Gedanken fuhren wir am nächsten Morgen in die Kunst­ etage. In einem weißen Raum, in dem nur ein Fadennetz an der Decke hing, begannen wir, Skizzen anzufertigen.

Sarah

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Aber wir merkten bald, dass sie nicht das waren, wonach wir suchten. Wir sahen uns einfach um und entdeckten gerade dabei viele neue Möglichkeiten. So kamen wir auf die Idee, den Raum an sich mit dem weißen Türrahmen ins Objektiv der Kamera zu nehmen. Dann fielen uns riesige Köpfe aus Pappmaché auf, die in einem anderen Projekt entstanden waren. Wir setzten sie einfach mal auf. Das war ein seltsames Gefühl, weil darin die eigene Stimme widerhallte. Einen davon malten wir schwarz an. Dazu kamen Säulen und Stoffe in schwarz und weiß. Das Netz an der Decke war die nächste Inspiration. Dann wickelten wir uns ein in Stoffe und Papier, setzten die Köpfe auf und tappten orientierungslos durch den Raum. In den Anzügen hatten wir kein richtiges Raum- und Zeitgefühl, man spürte bloß, dass es immer wärmer wurde. Bei der letzten Aktion sollten wir alles zerstören, was wir zuvor aufgebaut hatten. Es wurde alles fotografiert. Als das Zeichen kam, dass wir uns entkleiden dürfen, waren wir heilfroh. Am Abend mussten wir aus über 700 Fotos eines auswählen. Wir probierten dann Schriftarten und Varianten der Text­ anordnung aus, und es dauerte etwas, bis wir mit dem Ergebnis zufrieden waren. Wir hatten etwas geschaffen, das letztendlich allein aus der Suche danach dem Nichts entstanden war. Ein Plakat, von dem wir hoffen, dass es zum Nachdenken anregt. Sarah Winkelmann und Arne Amir Azazi

Man kann von allem sagen, dass es von außen betrachtet sinnlos ist. Aber trotzdem macht es für jeden einen Sinn, der es tut.

Im Alltag geht man zur Schule, erlernt einen Beruf, gründet eine Familie. Das sind Dinge, welche man mit Sinn verbinden könnte. Wohingegen man sich fragt, was der Sinn von Krankheit, Tod und Elend ist.

Schaffe ich es, in meinem Leben dauerhaft Sinn zu entdecken, auch in schwierigen Situationen, bedeutet es, zufrieden und glücklich zu sein.

Du kannst selbst auswählen, was für dich Bedeutung hat.

Das Leben hat Bedeutung und ist wertvoll.

Vielleicht mag das Leben an sich keinen Sinn haben, aber gerade deswegen geben die Menschen ihrem Leben selbst eine Bedeutung.

Denn erst wenn man am Ende ist, erkennt man, wie wichtig einiges war, das man als selbstverständlich abgestempelt hatte. Und erst wenn man das verstanden hat, kann man wieder aufstehen und weiterleben.

Selbst wenn man diese Wunder nicht jederzeit erkennen kann, kommt irgendwann der eine Augenblick, wo man die Wunder und den Wert des Lebens spürt.

Der Sinn des Lebens ist leben!

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Man lebt nicht, um Bedeutung zu suchen, sondern um Glück in seinem Leben zu finden.

Das Ziel ist es, so viel Spaß zu haben, wie nur möglich.

Jeder schafft sich einen Lebenssinn, der für jeden etwas anderes, sehr Individuelles ist.

Du musst aktiv versuchen, deinem Leben einen Sinn zu geben.

Jeder muss den Sinn für sein eigenes Leben erschaffen. Wenn du existieren möchtest, musst du dir ein Dasein schaffen.

Liebe ist eine menschliche Magie, und wenn einem die fehlt, wird man doch nicht froh.

Für ihre unermüdliche Arbeit bedanken wir uns bei unserem Leitungsteam Nils Kleemann, Katja Klemt, Anja Nicolaus, Jana Nedorost und Jakob Weinert sowie bei unseren Lehrern Sabine Jepp, Michael Schulz und Karin Pöthkow. Für den Probenraum danken wir dem Maritimen Jugenddorf Wieck, für Plakat und Programmheft der Druckerei Rügendruck und Michael Hahn. Für ihre Unterstützung danken wir der Aktion Sonnenschein e. V., dem Nordischen Klang, der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, den Mitarbeit­erinnen und Mitarbeitern des Theaters Vorpommern, den Kollegien des Alexander-von-Humboldt Gymnasiums und der Montessori-Schule, Vincent Leifer, Gunnar Fasold, Julia Kramer, Hedwig Golpon sowie unseren Eltern.

Aktion Sonnenschein e.V.

Impressum Theater Vorpommern GmbH StralsundGreifswald-Putbus, S ­ pielzeit 2012/13, Intendant und Geschäftsführer: Dirk Löschner Alexander-von-Humboldt-Gymnasium Greifswald, Schulleiter: Ulf Burmeister Montessori-Schule, Schulleiter: Nils Kleemann Redaktion: Anja Nicolaus Gestaltung: Michael Hahn, Hamburg, www.hahn-illustration.de, Herstellung: rügendruck putbus

Textnachweise: S. 3 Beitrag von Anja Nicolaus unter Verwendung von: Barbara Weitzel: Keine Angst vor großen Fragen. Berliner Zeitung, 10./11. März 2012 und www.rowohlt-theaterverlag.de / Alle Texte der Projektmitglieder entstanden für dieses Programmheft / Zitate: Janne Teller: Nichts. Was im Leben wichtig ist. Aus dem Dänischen von Sigrid C. Engeler. Hanser, 2010 / S. 24 -25 Schülerzitate aus der Vorbereitung im Deutschunterricht

Type: Neue Haas Grotesk Pro, Linotype. Entworfen von Christian Schwartz (2011) Max Miedinger (1957) Bonesana PRO, Entworfen von Matthieu Cortat, Die Gestalten Verlag GmbH Papier: Natur-Papier Tauro-Offset, Papier-Union

Bildnachweise: Janne Teller: Rowohlt Theater Verlag Fotos: Nils Kleemann / Sarah Winkelmann Plakat: Arne Amir Azazi / Sarah Winkelmann

Schule Lämmersieth, Lämmersieth 72a, 22305 Hamburg / Telefon 040 – 428 957-0 www.schule-laemmersieth.hamburg.de

ruegen-druck.de

wir drucken … die blätter, die die welt bedeuten circus 13 18581 putbus auf rügen tel. 03 83 01 / 80 60 • [email protected] www.ruegen-druck.de

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