Leseprobe zum Titel: Morton Rhue: Leben und Werk - Die Onleihe

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5. Sept. 2012 ... Rhue ist ein Profi, wenn es um das Verhältnis Text –. Film geht. ... Bis 1988 hatte Morton Rhue vorwiegend sogenannte. »stand alones« ...
Rhue ist ein Profi, wenn es um das Verhältnis Text – Film geht. 1988 lief es immer schlechter mit seinen problemorientierten Romanen. Relevanzliteratur für Jugendliche verkaufte sich kaum noch, denn jedes erdenkliche Thema, das Heranwachsende interessierte, war schon vielfach fiktional abgehandelt worden. In den USA waren in jenen Jahren die Buchreihen »Sweet Valley High« für Jugendliche und »The Babysitters Club« für etwas jüngere Leser die großen Erfolge. Verlagslektoren wünschten sich von Autoren weitere ähnliche Stoffe. Doch Morton Rhue wusste nicht genau, wie solche Serien aufgebaut waren. Und bis auf Ian Flemings »James Bond« hatte er auch noch nie welche gelesen. Bis 1988 hatte Morton Rhue vorwiegend sogenannte »stand alones« geschrieben, einzelne Romane, in denen die Struktur immer ähnlich war: Die Protagonisten hatten ein Problem, und indem sie versuchten, es zu lösen, reiften und veränderten sie sich. Wenn die Zeit für den nächsten Roman gekommen war, erfand Morton Rhue eine neue Gruppe von Figuren und fokussierte eine ihm wichtige Problematik. Aber die Serien gehorchten anderen Gesetzen, hatten immer dasselbe Personal und konnten bis zu vierzig Bände umfassen – von »Sweet Valley High« gibt es heute mehr als

einhundertfünfzig Bände. Morton Rhue fragte sich, wie die Figuren über so lange Strecken und in so vielen Büchern kontinuierlich lernen und sich sinnvoll entwickeln konnten. Er fand die Antwort beim Fernsehen, indem er für Seifenopern schrieb. Über Freunde bekam er Zugang zu einem von der CBS organisierten Seifenoper-Schreibworkshop, in dem er der einzige Teilnehmer war, der zuvor schon Bücher veröffentlicht hatte. Morton Rhue wusste schon vieles und erfuhr doch Neues über die Technik, Drehbücher für das Fernsehen zu schreiben, vor allem, als er nach dem Seminar ein ganzes Jahr lang Drehbücher für die Endlosserie »Guiding Light« schrieb und dabei gutes Geld verdiente. »Guiding Light«, die weltweit längste Serie in der Geschichte von Rundfunk und Fernsehen, begann 1937 als eine von der Firma Procter&Gamble gesponserte Radio-Soap (Soap – Seife deshalb, weil es oft SponsorFirmen waren, die mit Seife zu tun hatten) und kam 1952 ins CBS -Fernsehen, wo sie bis 2009 – immer noch von P&G gefördert – regelmäßig gesendet wurde. »Aus meiner Arbeit für ›Guiding Light‹ habe ich einige Erkenntnisse für das Schreiben von Romanen gewonnen. Insbesondere werde ich dank dieser Arbeit immer zwei grundlegende Gesetze in Erinnerung

behalten. Beim Entwickeln einer Figur gilt es, folgende Fragen im Blick zu behalten: Was treibt die Figur an? Was hat sie für Ziele? Es ist ja so, dass Figuren die Geschichten vorantreiben. Und Motive treiben die Figuren voran. Das zweite Gesetz ist noch viel einfacher, aber auch wichtig: Wenn Figur A nach einiger Zeit wieder Figur B begegnet, dann gilt es, sich in die Situation ihrer letzten Begegnung zurückzuversetzen.« Die intensive Zeit des Drehbuchschreibens dauerte bis 1990. »Das waren unterhaltende Geschichten. Aber ich mochte nicht die Art der Geschäfte mit TV -Sendern und auch die Zusammenarbeit fand ich nicht immer gut. Ich ziehe es bei Weitem vor, für Buchverlage zu schreiben.« Doch auch Rhues Zusammenarbeit mit Verlegern war nicht immer so gut wie heute. Der Vielschreiber Von den rund einhundertvierzig Büchern Morton Rhues sind nur sehr wenige ins Deutsche übersetzt worden. Es gab Zeiten, da schrieb Rhue parallel an mehreren – bis zu acht – Büchern. Darunter befinden sich auch sehr einfach gestrickte Bilderbücher oder Kindergeschichten

für Erstleser und oft Fortsetzungsbände von angefangenen Buchreihen. Will man das einem Autor verübeln? Eigentlich wollte er ja seinen Lebensunterhalt als anspruchsvoller Romancier bestreiten. Aber wer kann das schon? Anfang bis Mitte der 1980er Jahre hatte Rhue einige herausragend gute und erfolgreiche Jugendromane geschrieben, darunter »Die Welle«. Morton Rhues damaliger Agent trieb die Vorschüsse für die folgenden Bücher aufgrund der vorangegangenen Erfolge in die Höhe. Rhue ließ sich in jenen Jahren dazu verleiten, schnell viele, aber inhaltlich durchschnittliche Bücher zu schreiben. Die hohen Honorare schienen den zurückgeschraubten Qualitätsanspruch zu rechtfertigen. Aber das konnte nicht lange gut gehen. Wie in vielen künstlerischen Berufen ist es auch für Autoren schwierig, den eigenen Marktwert festzustellen und den Bogen nicht zu überspannen. Morton Rhue hatte Mitte der 1980er Jahre einen ersten Höhepunkt schon überschritten. Die danach in rascher Abfolge geschriebenen Bücher verkauften sich schlecht. Die Erlöse spielten nicht einmal die Vorschüsse ein. Das bedeutet, dass letztlich die Verlage an den Büchern Morton Rhues nichts verdienten oder sogar draufzahlten.

Doch Morton Rhue legte nicht die Hände in den Schoß, sondern machte sich mit noch größerem Elan an die Arbeit. Er schrieb Exposés für neue und anspruchsvolle Jugendromane. Eines Tages ging er damit zu seinem Verleger, überzeugt, dass er an die ersten Erfolge anknüpfen und die entstandenen Defizite würde ausgleichen können. Morton Rhue setzte seine ganze Energie und Rhetorik für diese Projekte ein. Er lieferte dem Verlag nicht nur Inhaltsangaben, sondern auch Probekapitel und erklärte die Bedeutung und die Erfolgsaussichten seiner Ideen. Nach seinem langen und engagierten Vortrag lehnte sich der Verleger in seinen Bürosessel zurück, blickte zur Decke und dachte ziemlich lange nach. Dann wandte er sich wieder Rhue zu: »Ich finde, du solltest Bücher über Hunde schreiben.« Morton Rhue verließ das Verlagshaus und schrieb weiter Drehbücher. Rhue erzählt von einer Literaturagentin, mit der er in den 1990er Jahren zusammenarbeitete. Obwohl sie immer mal wieder für längere Zeiten von der Bildfläche verschwand, inspirierte sie den Autor zum Verfassen zahlreicher Bücher. Der Rekord beträgt laut Morton Rhue sechsunddreißig Titel innerhalb von zwei Jahren. Auf der Webseite des Autors sind längst nicht alle Titel aufgeführt, aber in Online-Antiquariaten sind noch viele