Pflanzengesellschaft des Jahres 2019: Die ... - Offenlandinfo

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B. die Salbei-Glatthaferwiesen mit dem auffällig blühenden Wie- .... Glatthaferwiesen stehen seit Längerem im Fokus der floristisch-soziologischen For- .... eine neue Form der In-Wertsetzung, was letztlich auch zu einem besseren Schutz ... natura2000/Dokumente/6510_Flachland-Maehwiesen.pdf [Zugriff am 01.06.2018].
Tuexenia 38: 287–295. Göttingen 2018. doi: 10.14471/2018.38.011, available online at www.zobodat.at

SHORT COMMUNICATION

Pflanzengesellschaft des Jahres 2019: Die Glatthaferwiese Plant Community of the Year 2019: Oatgras Meadow Sabine Tischew1, *, Hartmut Dierschke2, Angelika Schwabe3, Eckhard Garve4, Thilo Heinken5, Norbert Hölzel6, Erwin Bergmeier2, Dominique Remy7 & Werner Härdtle8 1

Hochschule Anhalt, FB Landwirtschaft, Ökotrophologie und Landschaftsentwicklung, Strenzfelder Allee 28, 06406 Bernburg Germany; 2Georg-August-Universität Göttingen, Albrecht-von-HallerInstitut für Pflanzenwissenschaften, Abteilung für Vegetationsanalyse und Phytodiversität, Untere Karspüle 2, 37073 Göttingen, Germany; 3Technische Universität Darmstadt, FB Biologie, Schnittspahnstraße 10, 64287 Darmstadt, Germany; 4Haydnstraße 30, 31157 Sarstedt, Germany; 5 Universität Potsdam, Institut für Biochemie und Biologie, Maulbeerallee 3, 14469 Potsdam, Germany; 6 Westfälische Wilhelms Universität Münster, Institut für Landschaftsökologie, Heisenbergstr. 2, 48149 Münster, Germany; 7Universität Osnabrück, FB5, AG Ökologie, Barbarastraße 13, 49076 Osnabrück, Germany; 8Leuphana Universität Lüneburg, Institut für Ökologie, Universitätsallee 1, 21335 Lüneburg, Germany *Korrespondierende Autorin, E-Mail: [email protected]

Zusammenfassung Um Themen des Schutzes von Pflanzengemeinschaften wirksamer in der breiten Öffentlichkeit zu kommunizieren wird der Vorstand der „Floristisch-Soziologischen Arbeitsgemeinschaft (FlorSoz)“ ab 2019 eine „Pflanzengesellschaft des Jahres“ ausrufen. Damit sollen politische und administrative Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse zur Erhaltung der Vielfalt von Ökosystemen und Pflanzengesellschaften in Deutschlands gezielt unterstützt werden. Für das Jahr 2019 wurde die Glatthaferwiese ausgewählt. Sie zählt aktuell zu den durch Artenverarmung und Flächenrückgang besonders bedrohten Pflanzengesellschaften Deutschlands. Es sind deshalb dringend Maßnahmen zum Schutz und zur Wiederherstellung notwendig. Dieser Artikel gibt einen kurzen Überblick zur naturschutzfachlichen Bedeutung von Glatthaferwiesen und deren Ökosystemleistungen sowie zur floristisch-soziologischen Erforschung, zu Ursachen ihres Rückgangs und zu geeigneten Gegenmaßnahmen.

Abstract Aiming at a better promotion of topics related to the conservation of ecosystems and plant communities, the board of the „Floristisch-Soziologische Arbeitsgemeinschaft (FlorSoz)” has launched the initiative to announce a “Plant Community of the Year”. Therewith we hope to raise awareness and stimulate civil society and politics in promoting more efficient conservation strategies. For the forthcoming year, we choose the oatgras meadow as Plant Community of the Year 2019. These lowland hay Manuskript eingereicht am 18. Mai 2018, angenommen am 25. Juni 2018

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meadows belong to the most threatened plant communities in Germany. Concepts and schemes aiming at the conservation and restoration of lowland hay meadows are urgently needed. This article provides a short overview of the high nature-conservation value of lowland hay meadows and their ecosystem services as well as of the floristic-phytosociological research, reasons for their sharp decline and appropriate countermeasures.

1. Einleitung Themen des Naturschutzes müssen zukünftig noch stärker und öffentlichkeitswirksamer in die Gesellschaft und Politik getragen werden, damit sie bei Entscheidungsprozessen besser beachtet werden. Als ein wirksames Instrument dafür haben sich die jahrweise wechselnden Ernennungen einzelner Arten wie z. B. „Baum des Jahres“ oder „Vogel des Jahres“ erwiesen. Der Vorstand der „Floristisch-Soziologischen Arbeitsgemeinschaft (FlorSoz)“ hat deshalb beschlossen, ab 2019 eine „Pflanzengesellschaft des Jahres“ auszurufen, die besonderen Schutz verdient. Für das Jahr 2019 wurde die Glatthaferwiese ausgewählt. Noch vor drei Jahrzehnten waren artenreiche und bunt blühende, oft landschaftsprägende Glatthaferwiesen in den Flach- und Hügelländern Deutschlands weit verbreitet. Diese sehr vielfältig ausgeprägten Frischwiesen des pflanzensoziologischen Verbandes Arrhenatherion elatioris Luquet 1926 kommen auf frischen bis mäßig trockenen und gut (aber nicht übermäßig) mit Nährstoffen versorgten Standorten vor. Sie wurden traditionell als mäßig gedüngte, zweischürige Heuwiesen genutzt. In diesen Frischwiesen dominieren zumeist Obergräser wie Arrhenatherum elatius, Dactylis glomerata und Festuca pratensis, zu denen sich weitere typische krautige Arten wie Campanula patula, Centaurea jacea, Crepis biennis, Galium album, Geranium pratense, Knautia arvensis, Leucanthemum vulgare agg. u. a., oft auch verschiedene Doldenblütler, vor allem Anthriscus sylvestris und Heracleum sphondylium (die Nomenklatur richtet sich nach JÄGER 2017), gesellen, die vor dem ersten Schnitt ab Ende Mai zeitlich wechselnde Blühaspekte ausbilden (Abb. 1a–d). Eine hohe Diversität an Pflanzenarten zeigen vor allem die Ausbildungen relativ magerer Standorte. Besonders bunt und artenreich sind z. B. die Salbei-Glatthaferwiesen mit dem auffällig blühenden Wiesen-Salbei, die vorwiegend auf basenreihen Böden in sommerwarmen Gebieten Deutschlands vorkommen (OBERDORFER 1983, SCHWABE & KRATOCHWIL 1994/95). Hier finden sich viele weitere Arten wie Briza media, Bromus erectus, Leontodon hispidus, Lotus corniculatus, Pimpinella saxifraga, Plantago media, Ranunculus bulbosus und Scabiosa columbaria, die zu den Kalkmagerrasen vermitteln. Auch extensiv gepflegte Streuobstwiesen beherbergen im Unterwuchs oft Glatthaferwiesen, die auch als Modelle für die Neuanlage von Blumenwiesen in Parks und Gärten sowie an Weg- und Straßenrändern dienen können. Übersichtsliteratur zur floristisch-standörtlichen Differenzierung findet sich z. B. bei OBERDORFER (1983), DIERSCHKE (1997), DIERSCHKE & BRIEMLE (2002) und ELLENBERG & LEUSCHNER (2010).

2. Naturschutzfachliche Bedeutung von Glatthaferwiesen und Ökosystemleistungen Durch ihre Arten- und Strukturvielfalt und die zeitlich gestaffelten Blühabfolgen haben Frischwiesen nicht nur einen hohen ästhetischen Wert (Abb. 2a–d), sondern bieten auch Lebensraum für viele Tierarten (DIERSCHKE & BRIEMLE 2002, DIERSCHKE 2007). Oft bilden sie die Basis von Nahrungsketten oder werden durch Bestäuber (z. B. Wildbienen, Schweb288

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Abb. 1. Detailaufnahmen von artenreichen Glatthaferwiesen, a) Bunte Glatthaferwiese (Arrhenatheretum) der kollinen Stufe im westlichen mittleren Schwarzwald mit u.a. Wiesen-Storchschnabel (Geranium pratense), Wiesen-Pippau (Crepis biennis) und Wiesen-Kerbel (Anthriscus sylvestris) (Foto: A. Schwabe, Juni 1982); b) Salbei-Glatthaferwiese (Arrhenatheretum salvietosum) mit u. a. WiesenSalbei (Salvia pratensis) und Saat-Esparsette (Onobrychis viciifolia) als Trennarten für diese trockenere Ausbildung. Klettgau, Hochrheingebiet, submontane Stufe, 40 Jahre biologisch dynamische Bewirtschaftung (Foto: A. Schwabe, Mai 1990); c) Glatthaferwiese (Arrhenatheretum) der submontanen Stufe am südlichen Schwarzwald-Rand (im Übergang zum Klettgau) mit Wiesen-Pippau (Crepis biennis)Aspekt (Foto: A. Schwabe, Mai 1990); d) Artenreiche Glatthaferwiese (Arrhenatheretum) der planaren Stufe mit u.a. Wiesen-Storchschnabel (Geranium pratense), Scharfem Hahnenfuß (Ranunculus acris) und Wiesen-Margerite (Leucanthemum vulgare agg.) in einem städtischen Park in Bernburg (Foto: S. Tischew, Mai 2016). Fig. 1. Detail photos of species-rich oat-grass meadows, a) Colorful oat-grass meadow (Arrhenatheretum) of the colline belt in the western middle Black Forest, with meadow geranium (Geranium pratense), rough hawksbeard (Crepis biennis) and cow parsley (Anthriscus sylvestris) (Photo: A. Schwabe, June 1982); b) Sage-oat-grass meadow (Arrhenatheretum salvietosum) with meadow sage (Salvia pratensis) and common sainfoin (Onobrychis viciifolia) as differential species of this dry varaiant. Klettgau, Hochrhein area, submontane belt, 40 years of biodynamic farming (Photo: A. Schwabe, May 1990); c) Oat-grass meadow (Arrhenatheretum) of the submontane belt at the southern Black Forest edge (in the transition to the Klettgau) with rough hawksbeard (Crepis biennis)-aspect (Photo: A. Schwabe, May 1990); d) species-rich oat-grass meadow (Arrhenatheretum) of the planar belt with meadow geranium (Geranium pratense), meadow buttercup (Ranunculus acris) and oxeye daisy (Leucanthemum vulgare agg.) in an urban park in Bernburg (Photo: S. Tischew, May 2016).

fliegen, Schmetterlinge) zumindest als Teillebensraum genutzt. Grünland ist aufgrund der Anreicherung organischer Substanz im Boden - etwa im Unterschied zu intensiv genutzten Äckern - eine wesentliche Kohlenstoffsenke (SOUSSANA et al. 2007) und trägt auf geneigten Flächen zur Erosionsminderung bei (WAWER et al. 2013).

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Abb. 2. Durch Glatthaferwiesen geprägte Landschaften, a) Auenwiesen-Landschaft im Taubergießen/Oberrhein. Artenreiche Glatthaferwiese mit Aspekt von Wiesen-Pippau (Crepis biennis) und Zottigem Klappertopf (Rhinanthus alectorolophus) (Foto: H. Dierschke, Mai 1989); b) Submontane Wiesenlandschaft am Eisenberg bei Hessisch-Lichtenau, Glatthaferwiesen mit Frühlingsaspekt von Löwenzahn (Taraxacum spec.) und Wiesen-Kerbel (Anthriscus sylvestris) (Foto: H. Dierschke, Mai 1998); c) Wiesen-Kerbel (Anthriscus sylvestris)-Aspekt mit Scharfem Hahnenfuß (Ranunculus acris) auf nährstoffreicherem Standort im submontanen Gebiet des westlichen mittleren Schwarzwaldes (Foto: A. Schwabe, Juni 1987); d) Kirschplantage mit Unterwuchs einer Glatthaferwiese bei Witzenhausen/Nordhessen. Es blühen Wiesen-Schaumkraut (Cardamine pratensis) und Löwenzahn (Taraxacum spec.) (Foto: H. Dierschke, April 1997). Fig. 2. Landscapes shaped by oat-grass meadows, a) floodplain meadow landscape in the Taubergießen/Upper Rhine. Species-rich oat-grass meadow with aspect of rough hawksbeard (Crepis biennis) and greater yellow rattle (Rhinanthus alectorolophus) (Photo: H. Dierschke, May 1989); b) submontane meadow landscape at the Eisenberg near Hessisch-Lichtenau oat-grassmeadows with spring aspect of dandelion (Taraxacum spec.) and cow parsley (Anthriscus sylvestris) (Photo: H. Dierschke, May 1998); c) cow parsley (Anthriscus sylvestris) aspect with meadow buttercup (Ranunculus acris) on species-rich habitat in the submontane area of the westerrn middle Black Forest (Photo: A. Schwabe, June 1987); d) cherry orchard with undergrowth of an oat-grass meadow near Witzenhausen/North Hesse. Cuckooflower (Cardamine pratensis) and dandelion (Taraxacum spec.) are flowering (Photo: H. Dierschke, April 1997).

Auch europaweit wurde die hohe Bedeutung artenreicher Frischwiesen für die Biodiversität und zahlreiche Ökosystemleistungen gewürdigt durch die Aufnahme in den Anhang I der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU (RICHTLINIE 92/43/EWG) als Lebensraumtyp „Magere Flachland-Mähwiese“ (Natura 2000 Code 6510). In der atlantischen Region kommt der Lebensraumtyp auch oft als artenreiche, frische (Mäh-)Weide vor, die bei entsprechender Artenausstattung ebenfalls zu dem Lebensraumtyp gerechnet werden kann (BfN 2013).

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3. Floristisch-soziologische Erforschung der Glatthaferwiesen, Ursachen ihres Rückgangs und Gegenmaßnahmen Glatthaferwiesen stehen seit Längerem im Fokus der floristisch-soziologischen Forschung. Studien zu ihrer Rolle in der Kulturlandschaft Mitteleuropas fasst POSCHLOD (2015) zusammen. Er stellt dar, dass seit der Römischen Kaiserzeit in Mitteleuropa anspruchsvollere Tierrassen über längere Zeit im Stall gehalten wurden, die energiereicheres Winterheu aus der Wiesennutzung benötigten. Einen wesentlichen Flächenzuwachs erfuhren Heuwiesen seit dem 19. Jahrhundert durch die zunehmende Stallhaltung, die mit einer Trennung von Land- und Forstwirtschaft einherging, sowie durch die Trockenlegung von Auen und Niedermooren. Die floristischen und standörtlichen Differenzierungen der Glatthaferwiesen wurden auch von Mitgliedern der Floristisch-Soziologischen Arbeitsgemeinschaft in verschiedenen Gebieten genauer systematisch und ökologisch untersucht und beschrieben (neben oben zitierten Übersichten z. B. von SCHREIBER 1962, DIERSCHKE & VOGEL 1981, DIERSCHKE 1990, 1997, 2007, NOWAK 1992, BRUELHEIDE 1995, BETTINGER 1996, LISBACH & PEPPLERLISBACH 1996, HUNDT 1996, 1998, BURKART 1997, DENK & WITTIG 1999, HÖLZEL 1999, REDECKER 2001, WARTHEMANN & REICHHOFF 2001, DIERSCHKE & BRIEMLE 2002, NOWAK & SCHULZ 2002, HÄNEL & HACHMÖLLER 2003, BURKART et al. 2011, BECKER et al. 2012, RODRÍGUEZ‐ROJO et al. 2017) und Auswirkungen der Veränderungen von Landnutzungen auf die Glatthaferwiesen dokumentiert (BECKER & BECKER 2010, HÜLLBUSCH et al. 2016). Studien aus den Jahren 2012–2014 wiesen darauf hin, dass der Flächenverlust artenreichen Grünlands seit 1950 je nach Region 15–85 % betrug und auch die Artenzahl pro Fläche in vielen Regionen stark abgenommen hat (WESCHE et al. 2012, LEUSCHNER et al. 2013, 2014). So konnten früher auf wenigen m² bis über 60 Arten gefunden werden, während heute oft deutlich weniger als die Hälfte vorkommen. Der letzte nationale FFH-Bericht stellt fest, dass sich der Erhaltungszustand der „Mageren Flachland-Mähwiesen“ in der kontinentalen Region seit 2007 drastisch verschlechtert hat (BFN/BMUB 2013). Schon in der Roten Liste der Pflanzengesellschaften Deutschlands (RENNWALD 2000) wurden die Glatthaferwiesen magerer Standorte als gefährdet (3) eingestuft, andere Ausbildungen standen auf der Vorwarnliste (V). In der aktuell erschienenen Roten Liste der gefährdeten Biotoptypen Deutschlands wird nun darauf verwiesen, dass artenreiche, frische Mähwiesen der planaren bis submontanen Stufe von vollständiger Vernichtung bedroht sind (FINCK et al. 2017); europaweit werden sie (E2.2 Low and medium altitude hay meadows) als gefährdet („vulnerable“) eingestuft (JANSSEN et al. 2016). Zu den wesentlichen Gefährdungsursachen in den letzten drei Jahrzehnten zählen die Umwandlung in Ackerland sowie Nutzungsintensivierung oder Nutzungsaufgabe, oft mit nachfolgender Aufforstung (WESCHE et al. 2012, BFN/BMUB 2013, LEUSCHNER et al. 2013, 2014, GILHAUS et al. 2017). Aktuell ist vor allem die Nutzungsintensivierung hervorzuheben: stärkere Düngung ermöglicht im Intensivgrünland frühere und häufigere Schnitte; in der Folge bildet sich eine gleichförmigere Vegetationsstruktur mit zunehmender Dominanz von Gräsern, während die bunt blühenden Kräuter nach und nach verschwinden. Die monotonen Grasbestände der Silagewiesen werden im Frühjahr oft von einem intensiven Löwenzahn (Taraxacum spec.)-Aspekt begleitet. Andererseits wird insbesondere auf kleineren Wiesen, die oft noch besonders artenreich sind, die Nutzung aus wirtschaftlichen Gründen aufgegeben, oder es wird nur noch (sporadisch) gemulcht, um eine Einwanderung von Gehölzen zu unterbinden und die Direktzahlungen aus der landwirtschaftlichen Förderung weiterhin in Anspruch zu nehmen. 291

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Abb. 3. Glatthaferwiesen in urbanen Lebensräumen, a) Naturnah angelegte Glatthaferwiese in einem Privatgarten (Foto: S. Tischew, Mai 2010); b) Naturnah angelegte Glatthaferwiese in einer Siedlung (Foto: E. Garve, Juni 2004); c) Naturnah angelegte Glatthaferwiese vor einer Schule (Foto: S. Tischew, Mai 2011); d) Trockene Ausprägung einer Glatthaferwiese im Park Sanssouci in Potsdam (Foto: T. Heinken, April 2007). Fig. 3. Oat-grass meadows in urban habitats, a) Created near-natural oat-grass meadow in a private garden (Photo: S. Tischew, May 2010); b) Created near-natural oat-grass meadow in a settlement (Photo: E. Garve, June 2004); c) Created near-natural oat-grass meadow in front of a school (Photo: S. Tischew, May 2011); d) Dry variant of an oat-grass meadow in the Sanssouci Park in Potsdam (Photo: T. Heinken, April 2007).

Um diese Situation zu verbessern, muss in brachgefallenen oder unternutzten Beständen eine regelmäßige Nutzung wiedereingeführt werden und die Bewirtschafter sollten für ihre Gemeinwohlleistungen fair entschädigt werden. In artenreichen Glatthaferwiesen müssen bestehende Fördermaßnahmen im Rahmen des Vertragsnaturschutzes kontinierlich fortgeführt werden. Für bestehendes artenarmes Intensivgrünland muss zumindest in Schutzgebieten gemeinsam mit den Bewirtschaftern eine Extensivierung so geplant werden, dass eine Verwertung der Biomasse weiterhin sichergestellt ist. SCHUMACHER (2016) weist darauf hin, dass arten- und kräuterreiches Heu vom Jungviehrindern und von Trockenstehern gern gefressen wird und auch für Pferde, Schafe und Ziegen sehr gut zur Fütterung verwertet werden kann. Aber auch bei laktierenden Kühen kann bis zu 20 % der Trockenmasse der Tagesration aus rohfaserreichem Heu bestehen (JILG 2008). Es bedarf zukünftig auch intelligenter und praktikabler Lösungen zur Vereinbarkeit des Schutzes von Wiesenbrütern und einer phänologisch angepassten Mahd der Frischwiesen, die beispielweise durch Drohnenbefliegungen mit Wärmebildkameras Nesthabitate detektieren und so eine teilflächenspezifische Mahd vor Abschluss der Brutsaison auf den übrigen Flächen zulassen. Vollflächig zu späte Mahdtermine haben vor allem auf produktiveren Standorten den Nachteil, dass konkurrenz-schwächere Grünlandarten zu Gunsten höher292

wüchsiger Arten seltener werden und Arten früher Brachestadien sich ausbreiten mit Dominanz von Obergräsern, hohen Doldenblütlern, Urtica dioica und Solidago canadensis. Insbesondere in Grünlanddefizitregionen des Tief- und Hügellands spielt die Neuschaffung und Wiederherstellung von Frischwiesen eine bedeutende Rolle (z. B. KIRMER et al. 2012, KIRMER & TISCHEW 2014, JOHN et al. 2016, SENGL et al. 2017). Dabei leistet die aktive Wiederansiedlung lokal ausgestorbener Arten einen entscheidenden Beitrag (HÖLZEL et al. 2006, KIEHL et al. 2010). Hierbei sind naturnahe Methoden wie die Verwendung zertifizierter gebietsheimischer Samenmischungen aus regionaler Vermehrung oder von Mahd- bzw. Wiesendruschüberträgen aus artenreichen Spenderflächen anzuwenden, um regionale genetische Adaption zu erhalten (BOSSHARD 2000, TISCHEW et al. 2011), da sonst die Renaturierungsziele verfehlt werden (CONRAD & TISCHEW 2011). Spenderflächen erfahren dabei eine neue Form der In-Wertsetzung, was letztlich auch zu einem besseren Schutz beiträgt (HEFTER et al. 2010). Auch in urbanen Räumen bestehen hervorragende, bislang weitgehend ungenutzte Potentiale zur Renaturierung von Glatthaferwiesen (KLAUS 2013, RUDOLPH et al. 2017). Hier sollten zukünftig in weit größerem Umfang naturnah angelegte Frischwiesen in Grünanlagen, Parks oder privaten Gartenflächen zur Förderung der biologischen Vielfalt beitragen (Abb. 3a–d).

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